Der Code des Lebens

Der Code des Lebens

Transkript

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Janika Kiltz: Damals, 1854, kam es in London zu einem großen Cholera-Ausbruch. 14.000 Menschen starben. Die Ursache war aber zunächst unbekannt. Warum erkrankten so viele Menschen? Warum sind einige von ihnen verschont geblieben? Mediziner John Snow ging dem Rätsel auf die Spur. Auf einer Karte notierte er alle bekannten Todesfälle und machte dabei eine spannende Entdeckung. Die Todesfälle konzentrierten sich nämlich besonders in der Nähe einer bestimmten Wasserpumpe. Könnte Cholera durch verunreinigtes Trinkwasser verbreitet werden? Diesen Verdacht hatten John Snow und seine Kollegen bereits seit einiger Zeit. Dabei gab es nur ein kleines Problem: Es gab auch gesunde Menschen in einigen der umliegenden Häuser. Die Mitarbeiter einer nahen Brauerei beispielsweise, zeigten keine Symptome. Warum hatten sie sich nicht mit Cholera angesteckt? Gab es nun doch keinen Zusammenhang mit der Wasserpumpe? Oder sind nur bestimmte Altersgruppen betroffen? Die Antwort war deutlich simpler: Nachdem Snow etwas nachgeforscht hatte, stellte sich heraus, dass die Brauereimitarbeiter gar kein Wasser tranken. Die Brauerei hatte eine eigene Wasserversorgung und die Mitarbeiter bedienten sich lieber am Bier. Bestätigt in seiner Theorie, ließ John Snow den Hebel der Wasserpumpe entfernen. Und der Ausbruch ebbte ab.

Janika Kiltz: Ja… Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Hygiene – wenn viele Menschen auf engem Raum versammelt sind müssen wir uns Gedanken über ein möglichst gesundes Zusammenleben machen. Welche Krankheitsherde gibt es und wie können wir sie reduzieren? Das können wir nur herausfinden, indem wir unsere Umgebung genau unter die Lupe nehmen. Snow hat alle Erkrankungsfälle genau kartiert und mögliche Wasserquellen analysiert. Er wird daher auch als Begründer der modernen Epidemiologie bezeichnet, also der Wissenschaft, die sich mit Faktoren beschäftigt, die die Gesundheit der Bevölkerung beeinflussen können. Epidemiologische Studien sind ein entscheidendes Werkzeug im Kampf gegen Krankheiten. Wenn wir wissen wie Krankheiten entstehen, können wir sie vermeiden. Und um zu verstehen wie Krankheiten entstehen, müssen wir wie Detektive beobachten und Untersuchungen anstellen. Und genau das ist die Aufgabe der NAKO Gesundheitsstudie, kurz NAKO. In der heutigen Folge beschäftigen wir uns nämlich mit der größten deutschen Langzeitstudie. Wir betrachten, wie sie zu unserem Verständnis über Krankheiten beitragen kann und was Genetik damit zu tun hat.

00:02:43: [Intro-Musik beginnt]

Janika Kiltz: Dieser Podcast wird präsentiert von GHGA. Dem deutschen Humangenom-Phänom Archiv. Viel Spaß bei der heutigen Folge: „Die NAKO Gesundheitsstudie: Wer wird krank und warum?“.

00:02:59: [Intro-Musik endet]

Janika Kiltz: Willkommen zum Code des Lebens! Jeden Monat erklären hier Experten und Expertinnen spannende Themen innerhalb der Genomforschung. Heute im Podcast zu Gast ist Frau Annette Peters, Professorin für Epidemiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie ist außerdem die Leiterin des Instituts für Epidemiologie in Helmholtz München. Frau Peters führt große Kohortenstudien durch, wie die vorher erwähnte NAKO Gesundheitsstudie. Daher beschäftigt sie sich mit der Entstehung von Krankheiten. Beispielsweise erforscht sie wie Herzkreislauferkrankungen und Diabetes entstehen und untersucht auch den Einfluss von Umweltfaktoren wie der Luftverschmutzung auf unsere Gesundheit. Frau Peters, was motiviert sie, in diesem Bereich zu forschen?

Prof. Dr. Annette Peters: Meine Motivation, diese großen Studien durchzuführen, ist, dass ich verstehen möchte, was macht uns krank und wie bleiben wir gesund? Im Bereich der Luftschadstoffe z.B. hat sich so viel verbessert und da sehen wir auch, dass die Bevölkerung dadurch insgesamt gesünder geworden ist. Aber wir sehen auch, dass die Menschen sehr unterschiedlich reagieren und dass dafür teilweise unser Verhalten wahrscheinlich verantwortlich ist, aber auch unsere Gene dafür verantwortlich sein können. Das heißt wir sind nicht alle gleich und wenn wir das besser verstehen, können wir alle Menschen schützen, nicht nur diejenigen, die eine besonders günstige Konstitution bei ihrer Geburt per Zufall erhalten haben.

Janika Kiltz: Ja, wir sind nicht alle gleich und daher ist es spannend, sich diese Unterschiede etwas genauer anzuschauen. Das Entstehen von Krankheiten ist äußerst komplex und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Mit der NAKO Gesundheitsstudie möchten Forschende gezielt nach Zusammenhängen suchen. Als umfangreiche deutsche Langzeitstudie untersucht die NAKO bereits seit 2014 die Gesundheit von rund 200.000 Menschen. Dabei stellt sich die NAKO eine zentrale Frage: Warum erkranken manche Menschen, während andere gesund bleiben? Um Antworten auf diese Frage zu finden, beobachtet die NAKO den Lebensstil, das soziale Umfeld und den Gesundheitszustand der Teilnehmenden. Und das über mehrere Jahrzehnte. Finanziert wird die Studie durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Länder, die Helmholtz-Gemeinschaft und beteiligte Institutionen. Die Studie konzentriert sich auf häufige Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen und psychische Erkrankungen. Deswegen werden die Studienteilnehmer in regelmäßigen Abständen untersucht. Treten zwischen den Terminen Erkrankungen auf, können die bisherigen Beobachtungen helfen, den Krankheitsverlauf nachzuvollziehen und Informationen über potenzielle Risikofaktoren zu sammeln. Die Hauptaufgabe der NAKO besteht also darin, Risikofaktoren für Krankheiten zu identifizieren und zu bewerten.

Prof. Dr. Annette Peters: Genau, die NAKO untersucht die Risikofaktoren. Die NAKO beschreibt aber auch, ob die Risikofaktoren in Deutschland überall gleich sind. Gibt es z.B. regionale Unterschiede. Gibt es die Möglichkeit die Krankheit früher zu erkennen. Indem man z.B. bildgebende Verfahren einsetzt wie die Magnetresonanztomographie (MRT), die wir in einer Untergruppe von 30.000 Personen angewandt haben. Oder gibt es Biomarker im Blut, die zur Früherkennung von Krankheiten hergenommen werden können? Und: Was sagen denn unsere Gene? Gibt es genetische Marker, die uns helfen können, eins unserer Risiken besser abzuschätzen?

Janika Kiltz: Ja und um solche regionalen Unterschiede, Krankheitsrisiken und Biomarker finden zu können, brauchen wir Daten. Wir müssen uns also die Studienteilnehmer etwas genauer ansehen. Das heißt Untersuchungen und Befragungen durchführen. Und das umfasst nicht nur Größe, Gewicht und Blutdruck. Nein, Forschende interessiert auch das Lungenvolumen einer Person. Wie tief kann jemand einatmen und aus welchen Stoffen ist der Atem zusammengesetzt? Oder wie gut kann jemand riechen, sehen oder hören? Von der Handgreifkraft bis zum Gedächtnis werden die Probanden wortwörtlich auf Herz und Nieren untersucht. Und auch das soziale Umfeld – welchen Beruf übt jemand aus? Manche Berufe können unsere Gesundheit beeinträchtigen. Schadstoffe, körperliche Arbeit, Lärm oder Stress – das sind alles interessante Faktoren bei der Entstehung von Krankheiten. Aber auch der Wohnort kann eine Rolle spielen. Hat bspw. die Nähe zu einem Kraftwerk Auswirkungen auf unsere Gesundheit? In eigens dafür eingerichteten Studienzentren geht die NAKO einer Vielzahl an Fragen nach.

Prof. Dr. Annette Peters: Die Untersuchungen, die wir durchführen, könnte man auch beim Hausarzt durchführen lassen. Aber da es uns ja auch um kleine Unterschiede geht, die später eine große Wirkung haben können, wollen wir die Untersuchungen so gut es geht standardisieren. Und deswegen brauchen wir eigens dafür ausgelegte Zentren.

Janika Kiltz: In diese Zentren hat die NAKO 200.000 Teilnehmende eingeladen. Die Teilnehmenden wurden durch eine zufällige Stichprobe über die Einwohnermeldeämter ausgesucht. Dabei hat die NAKO darauf geachtet, eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern einzuladen. 20 Prozent von ihnen sind im Alter von 20-40 und 80 Prozent im Alter von 41-69. Da die NAKO einen Querschnitt der Bevölkerung untersuchen möchte, darf nur teilnehmen, wer zufällig ausgewählt wurde. Man kann sich also nicht freiwillig melden. Warum ist es denn so wichtige, eine so große unspezifische Kohorte zu betrachten? Was kann man aus Studiendaten von augenscheinlich gesunden Menschen lernen?

Prof. Dr. Annette Peters: Die NAKO Gesundheitsstudie hat so viele Personen eingeschlossen, damit man die Unterschiedlichkeit der Bevölkerung und von uns allen wirklich gut abbilden kann. Wir haben unterschiedliche genetische Hintergründe, wir haben unterschiedliche Berufe, wir haben unterschiedliche Lebensweisen, wir leben unter unterschiedlichen Umweltbedingen und in unterschiedlichen Sozialgefügen. Und um das alles abbilden zu können, brauchen wir eine sehr, sehr große Menge von Menschen. Zwar sind z.B. Krebserkrankungen häufig, apezifische Krebserkrankungen sind aber wieder gar nicht so häufig. Und um dann genug Aussagekraft zu haben, braucht man ein großes Kollektiv. Und auch um die Verbindung zwischen Krankheiten festzustellen zu können ist es sehr, sehr hilfreich, wenn man wirklich eine sehr große Stichprobe zur Verfügung hat.

Janika Kiltz: Ja, Krankheiten sind vielschichtig miteinander verwoben und treten oft nicht allein auf. Beispielsweise kann Diabetes auch mit grauem Star einhergehen, da Diabetes die kleinen Gefäße im Auge schädigt. Oder Menschen, die einmal Windpocken hatten, können später an Gürtelrose erkranken, da es sich um denselben Virus handelt. Der Virus schlummert ein Leben lang im Körper, um zum passenden Zeitpunkt als Gürtelrose auszubrechen. Mittlerweile kennen wir diese Zusammenhänge und haben Medikamente entwickelt, um schlimmere Folgen zu verhindern. Je früher man solche Verbindungen bemerkt, desto besser. Nur so kann man möglichst viele Menschen schützen. Das ist auch wieder ganz aktuell beim Thema Corona und Long Covid. Je größer die Stichprobe, desto mehr Erkenntnisse können wir gewinnen. Und das deutlich schneller. Gut, Krankheiten sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Aber was heißt das? Wie beeinflussen sich z.B. unsere Lebensweise und unsere Gene?

Prof. Dr. Annette Peters: Der gegenwärtige Stand der Forschung für das Zusammenspiel unserer Lebensweise, von Umweltfaktoren und von der Genetik stellt das so dar, dass man einen genetischen Hintergrund der Krankheiten kennt, dass man die Risikofaktoren kennt, die wir alle versuchen zu vermeiden, dazu gehört das Übergewicht, dazu gehört eine ungesunde Ernährung, dazu gehört fehlende körperliche Fitness und Aktivität und ein zu hoher Alkoholkonsum. Außerdem wissen wir, dass die Luftschadstoffe der Umweltfaktor Nummer eins sind, der unsere Gesundheit beeinflussen kann. Und die Weltgesundheitsorganisation hat diese fünf Faktoren als eine der zentralen Ankerpunkte und Hebelpunkte für die Verbesserung der Gesundheit identifiziert. Das wissen wir.

Janika Kiltz: Und wie hängen diese Faktoren zusammen?

Prof. Dr. Annette Peters: Wie jetzt das Zusammenspiel zwischen diesen Faktoren und den Genen ist, das ist etwas, dass wir nicht in dem Maße wissen. Weil bisher große Studien gefehlt haben, in denen wir das wirklich gemeinsam angucken können. Deswegen haben wir große Hoffnungen auf die NAKO Daten, die wir jetzt in der dritten Förderphase erheben werden. Aber meine Hypothese ist, oder meine Vermutung ist, dass wir in der Tat für einen Teil der chronischen Krankheiten vielleicht sogar zeigen können, dass diejenigen, die ein hohes genetisches Risiko haben auch ein besonders hohes Risiko haben, wenn sie dann noch einen ungünstigen Lebensstil haben oder an Wohnorten wohnen, mit einer hohen Schadstoffbelastung. Das ist genau das, was wir zukünftig herausfinden wollen und erste Erkenntnisse einer großen Studie aus Großbritannien deuten genau darauf hin.

Janika Kiltz: Gibt es einen Faktor der besonders heraussticht?

Prof. Dr. Annette Peters: Ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Krankheiten ist das Übergewicht und z.B. können wir in der NAKO Gesundheitsstudie jetzt abbilden, wie ist die Übergewichtsverteilung in Deutschland und perspektivisch werden wir auch Aussagen dazu bekommen, wie sich das Übergewicht bei den Teilnehmenden über die Zeit hinweg entwickelt. Aber wir konnten sehen, dass die schlankesten Personen im Mittel in Freiburg wohnen. Also in Südwestdeutschland. Dagegen in Nordostdeutschland eher die Personen noch zu Übergewicht neigen. Und das passt auch ganz gut mit einem Krankheitsgefälle zwischen Nord und Süd in Deutschland zusammen. Woran das liegt? Das werden wir noch genauer unter die Lupe nehmen. (Musik)

Janika Kiltz: Die NAKO beschäftigt sich auch mit aktuellen Themen, wie Corona, der Schadstoffbelastung und dem Klimawandel. Welchen Einfluss hatte die NAKO bisher auf diese Themengebiete?

Prof. Dr. Annette Peters: Wir konnten sehr früh zeigen, dass die Lockdown-Maßnahmen einen Teil der Bevölkerung wirklich sehr belasten und das hat zum Nachdenken auf der Seite der Politiker geführt. Das war der eine Teil und zum anderen haben wir jetzt letztes Jahr uns an einer großen deutschlandweiten Kampagne beteiligt, wo der Status der Antikörper für Covid19 im Blut bestimmt wurde. Und aus dieser Studie konnte man ableiten, dass der Schutz der Bevölkerung insgesamt relativ gut ist und das hat wiederum zur Lockerung der Corona-Maßnahmen geführt, von denen wir ja alle profitiert haben. Ein zweites positives Beispiel ist, dass wir um die Umwelteffekte besser verstehen zu können, Modelle gerechnet haben, inwieweit Hitzetage über Deutschland verteilt auftreten. Und dann konnten wir sehen, dass in der Tat von 2000 bis 2020 die Häufigkeit von Hitzetagen angestiegen ist und dass das ein Faktor ist, den wir zukünftig einfach berücksichtigen müssen. Und jetzt gerade untersuchen wir inwieweit wir schon Gesundheitseffekte in der NAKO abbilden können. Aber allein diese Daten und das Wissen darum hat uns ermutigt für den Hitzeschutz der Bevölkerung einzutreten und das ist indirekt auch ein Verdienst der NAKO.

Janika Kiltz: Ja das wird noch sehr spannend. Also wie sich die zunehmenden Hitzetage auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken werden und was das für uns in Zukunft bedeuten wird. Ebenfalls topaktuell sind auch die Auswirkungen von Umweltgiften, wie beispielsweise den sogenannten PFAS. Die sind in den Nachrichten schon öfter ein Thema gewesen. PFAS sind giftige und nur schlecht abbaubare Chemikalien. Sie befinden sich in Regenjacken, Feuerlöschern, beschichteten Pfannen, Kosmetik, Fastfood Verpackungen… eigentlich sind sie mittlerweile überall vorhanden. Auch in unserem Trinkwasser. Nun stehen diese Stoffe aber unter starkem Verdacht das Krebsrisiko zu erhöhen. Könnte man den Einfluss von PFAS auf den Menschen auch in der NAKO darstellen?

Prof. Dr. Annette Peters: Ja, also so eine große Kohortenstudie wie die NAKO erlaubt auch neu auftretende und unbekannte Risikofaktoren abzubilden. Oder dafür Hypothesen zu generieren lässt sich besser sagen. Wenn man als Beispiel den Bereich der PFAS nimmt, da haben wir jetzt Karten gesehen wo Belastungen in Deutschland auftreten. Jetzt können wir in einer epidemiologischen Studie z.B. Dinge korrelieren, aber wir haben ja auch Blutproben eingelagert und das sind zwar sehr aufwendige Messungen, aber grundsätzlich arbeiten meine Kollegen, sind jetzt keine Epidemiologen, sondern eher Leute, die die Analytik von Substanzen im Blut vorantreiben, daran dass man z.B. mehr Chemikalien abbilden kann und auch Umwelt-Chemikalien abbilden kann. Und von daher erwarte ich, dass man solche neuen Fragestellungen auch aufnehmen kann. Das ist jetzt in der NAKO im Moment noch nicht vorgesehen, aber so etwas ist wichtig und sollte man im Hinterkopf behalten und sobald die technischen Möglichkeiten dafür vorhanden sind und wir wissen, dass unsere Statistik standhalten könnte, dann würden wir solche Analysen auch durchführen.

Janika Kiltz: Apropos Analysen: besonders spannend ist ja jetzt, dass Forschende nun auch einen Blick in das Genom der Probanden werfen können, insofern zugestimmt. Das ist eine Neuerung die mit der dritten Förderphase der NAKO einhergeht, die im Mai begonnen hat. Das zu untersuchende genetische Material, wie bspw. die gerade erwähnten Blutproben und weitere Bioproben, lagert die NAKO in sogenannten Biobanken. Bei -80 Grad werden die Proben gekühlt und sicher aufbewahrt. Dieses Material soll also in Zukunft genauer betrachtet werden. Wie genau möchte die NAKO denn einen Blick ins Genom werfen? Hier gibt es ja verschiedene Möglichkeiten.

Prof. Dr. Annette Peters: Die genetische Information bei uns Menschen ist ja so ein Vier-Buchstaben-Code und grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Möglichkeiten, wie man die Gene, die ja alle Komponenten unseres Körpers bestimmen, seien es nur die Haare, unsere Haut oder der Aufbau der Organe… Die kann man auf der einen Seite abbilden, indem man den kompletten Code abbildet. Das ist eben die Ganzgenomsequenzierung. Das ist im Moment noch zu teuer, dass wir das in der NAKO aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert bekommen können. Aber es gibt sozusagen eine viel einfachere Technik die seit rund 20 Jahren nach und nach immer weiter optimiert wurde. Und diese Technik sucht sich Ankerpunkte in der gesamten genetischen Sequenz. Das sind so rund 500.000 Ankerpunkten, bei denen man weiß, dass da möglicherweise sich der Buchstabencode verändert haben könnte. Und da redet man von „Einzelnukleotidaustäuschen“ und das kann man in einem Hochdurchsatzverfahren auf so kleinen Chips praktisch durchführen. Und man kann dann damit, mit dieser Messung, insgesamt mehr als 2 Millionen Veränderungen an einzelnen Genorten durchführen [bestimmen] und damit auch das wissen, dass wir heute schon in der Genetik haben, gut abbilden.

Janika Kiltz: Genau, wir müssen nicht immer das ganze Buch ausdrucken, um zu erahnen was drinsteht. Diese Einzelnukleotidaustäusche, kurz SNPs, sind für 90% Der genetischen Unterschiede zwischen uns Menschen verantwortlich. SNPs treten ungefähr einmal alle 1000 Nukleotide auf, das heißt jeder von uns hat ungefähr 4 -5 millionen SNPS in seinem Genom. Das ist erstmal nichts Schlimmes, aber es gibt auch SNPS die unsere Gesundheit beeinträchtigen. Beispielsweise beeinflussen sie wie wir auf Medikamente ansprechen oder auf Umweltgifte reagieren. Anstatt das ganze Genom zu betrachten, suchen Forschende gezielt nach SNPs, die mit Krankheiten in Verbindung gebracht wurden. Manche SNPS im SLC41A1 Gen, sehr komplexer Name, erhöhen z.B. das Risiko an Parkinson und Alzheimer zu erkranken. Das SLC41A1 Gen steht im Zusammenhang mit dem Transport von Magnesium im Körper. Magnesium scheint eine Rolle bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen zu spielen. Die genaue Verbindung ist aber noch nicht ausreichend geklärt. Es gibt aber SNPS mit positiven Auswirkungen. SNPS des FOXO3 Gens werden mit überdurchschnittlicher Langlebigkeit in Verbindung gebracht. Das Gen hat eine regulierende Funktion und wirkt sich u.a. auf die Stressverarbeitung im Körper aus. Menschen mit diesen SNPS erkranken bspw. weniger häufig an Krebs, Herzkreislauferkrankungen und litten seltener unter Schlaganfällen. Wie genau die Varianten des FOXO3 Gens gegen altersbedingte Erkrankungen schützen wird aber noch weiter erforscht. Es gibt also SNPS, die mit Risiken für gewisse Krankheiten assoziiert sind. Das heißt aber nicht unweigerlich, dass man eine bestimmte Erkrankung kriegen muss, insofern man einen betreffenden SNP besitzt. Deswegen ist es auch ein Ziel der NAKO, nicht nur Risikofaktoren zu identifizieren, sondern auch zu bewerten. Wir müssen uns nämlich auch damit beschäftigen, ob alle gefundenen Veränderungen tatsächlich relevant für die betreffende Person sind. SNPs verraten also bereits eine ganze Menge. Welchen Mehrwert bringt dann noch eine Ganzgenomsequenzierung?

Prof. Dr. Annette Peters: Wenn man eine Ganzgenomsequenzierung durchführt, bekommt man wirklich sehr, sehr viele Informationen über die genetische Architektur einer Person. Und dann kann ich nicht nur einzelne Veränderungen an einzelnen Genorten abrufen, sondern ich kann z.B. auch herausfinden, dass ganz Genstücke fehlen oder dass sie andersherum eingesetzt sind in der genetischen Abfolge. Und dadurch bekomm ich zusätzliche Informationen, die möglicherweise sich auch nochmal als sehr, sehr wichtig herausstellen. Und man weiß auch heutzutage, dass z.B. Umweltfaktoren zu Veränderungen führen können des genetischen Codes. Und es gibt Forscher die vermuten, dass man sozusagen im Laufe seines Lebens eine ganze Menge Veränderungen mit sich herumschleppt, die gar nicht repariert werden und in welchem Maße das wirklich stattfindet und inwieweit das auch zur Krankheitsentstehung beiträgt, wissen wir heute noch gar nicht. Und so etwas könnte man mit einer Ganzgenomsequenzierung herausfinden.

Janika Kiltz: Dann heißt es abwarten, ob das für die NAKO in Zukunft möglich wird. Zum aktuellen Zeitpunkt ist geplant, die Bioproben von einverstandenen Probanden und Probandinnen auf die vorher erwähnten SNPs zu untersuchen. Die dabei entstehenden Daten werden dann DSGVO konform im deutschen Humangenom Phänomarchiv, kurz GHGA, gespeichert. Wie stehen denn die Teilnehmenden zur genetischen Analyse ihrer Bioproben? Sind die meisten damit einverstanden, oder wird dem auch Thema viel Skepsis entgegengebracht?

Prof. Dr. Annette Peters: Generell muss man sagen, dass diejenigen, die sich an der Studie beteiligen, auch bereit sind ihre Blutproben zur Verfügung zur stellen und dann auch einer vollumfänglichen Nutzung der Blutproben zustimmen, weil sie denken, dass sie damit einen wichtigen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Und das ist aus meiner Sicht auch in der Tat so. Das ist toll, dass unsere Studienteilnehmer:innen sich so viel Zeit nehmen, um zu den Untersuchungen zu kommen und auch bereit sind Bioproben abzugeben. Natürlich gibt es denen einen oder die andere, die dann später nochmal sich das überlegt und dann Bioproben zurückzieht, aber das ist eine ganz kleine Untergruppe und das ist auch absolut verständlich und in Ordnung. Das respektieren wir, nichtsdestotrotz sind wir den anderen sehr, sehr dankbar, die praktisch auch mit diesen Bioproben uns ermöglichen die Untergruppen der Bevölkerung zukünftig viel besser zu bestimmten und vielleicht dann auch zukünftig eine gute Nutzung dieser Technologie zu ermöglichen.

Janika Kiltz: Was passiert denn nun eigentlich, wenn bei diesen Untersuchungen etwas gefunden wird? Werden die Teilnehmer informiert, wenn es einen gesundheitsrelevanten befund gibt?

Prof. Dr. Annette Peters: Wenn man als Teilnehmer:in zur NAKO kommt, dann wird man erstmal vollumfänglich aufgeklärt. Über die Untersuchungen, die dann in der Folge durchgeführt werden. Über die Art und Weise wie die Daten gesichert werden und wozu die Daten verwendet werden. ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir zu Beginn erklären, welche Daten die Teilnehmerin oder der Teilnehmer zurückbekommt und die dann mit einem Befundbrief mitgeteilt werden und welche Daten aus unserer Sicht erstmal nur für Forschungszwecke verwendet werden und die nicht mitgeteilt werden. Jeder Studienteilnehmer und jede Studienteilnehmerin hat aber natürlich das Recht auch bei uns nachzufragen und diese weiteren Daten bei uns anzufordern, wenn er oder sie die Daten möchte. Und sollten bei den Untersuchungen Hinweise auf akute Erkrankungen auftreten, dann teilen wir das unmittelbar mit oder leiten auch möglichweise direkt ärztliche Hilfe ein, wenn das notwendig sein sollte. Bei den komplexen Untersuchungen zu denen zum einen die Magnetresonanztomographen, das heißt bildgebene Daten gehören, teilen wir Zufallsbefunde mit und da gibt es eine spezifische Liste von Zufallsbefunden, die im Vorfeld von medizinischen Experten festgelegt wurde. Wichtig ist das dabei, dass unsere Untersuchungen und auch unsere Bildgebung nicht dafür ausgelegt ist, dass die diagnostisch sind. Das heißt man kann vielleicht einen Schatten erkennen, der auf einen Krebserkrankung hindeutet, aber das ist keine Krebsdiagnose. Das heißt dann wird der Teilnehmer:in mitgeteilt „passen Sie auf, da gibt es einen Hinweis, bitte gehen sie doch zu einem Spezialisten und lassen Sie diesen Befund abklären“. Im gleichen Maße sind auch unsere genetischen Untersuchungen nicht im Sinne der Gendiagnostik zu verstehen, daher haben wir uns da entschieden, da keine Befunde mitzuteilen. Aber wie gesagt, wenn jemand seine/ihre Daten haben möchte dann geht das jederzeit.

Janika Kiltz: Achso, ja genau, man kann seine Daten anfordern. Das stelle ich mir natürlich sehr interessant vor. Das sind ja auch Informationen, die nicht jeder über seinen Körper herausfinden kann. Wobei da natürlich auch die Frage bleibt Frage, wie viel man als Laie mit diesen vielen verschiedenen Informationen anfangen kann. Aber apropos Daten: Wie steht es in der NAKO denn um den Datenschutz? Und wer kann nun mit diesen Daten Forschung betreiben?

Prof. Dr. Annette Peters: Die NAKO Gesundheitsstudie sammelt sehr, sehr viele Daten. Und den Zugang zu den Daten bekommen Forscher, indem sie Anträge stellen. Das heißt die Daten, so wie wir sie gesammelt haben, sind eigentlich nur für ausgewählte Personen zuständig. Namen, Adressen und das Geburtsdatum wird einer Treuhandstelle verwaltet, die unabhängig ist von uns Forschenden. Die Forschungsdaten wiederum werden aufbereitet und qualitätsgesichert und dann können sich Forschende aus Deutschland darum bewerben. Man muss aufschreiben, welche Fragestellung man bearbeiten möchte, welche Daten man dazu braucht und das auch begründen. Und dann gibt es ein Gremium der NAKO, das sich diese Anträge anschaut. Und wenn das sinnvoll ist, macht man als Forscher:in einen Vertrag mit der NAKO, in dem geregelt ist, was man mit den Daten machen darf und wie man auch die Datensicherheit gewährleisten muss und dann bekomm ich diese Daten und kann sie auswerten.

Janika Kiltz: Wichtig ist natürlich auch ein sicherer Speicherort. Die Daten, die ja dann in GHGA gespeichert werden sollen, werden durch strenge Sicherheitsvorkehrungen geschützt. Zum einen vor Ort, um Einbrüche oder einem Datenverlust durch Naturkatastrophen zu vermeiden. Und zum anderen natürlich auch im digitalen Raum. Cybersecurity-Maßnahmen wie Verschlüsslung und strenge Zugriffskontrollen minimieren das Risiko eines Datenmissbrauchs. Die NAKO ist übrigens nicht die einzige und auch bei weitem nicht die erste nationale Langzeit-Kohortenstudie. In anderen Ländern wurde damit schon früher angefangen. Einige Beispiele sind Estland, Island und England. Kohortenstudien sind z.B. im Vereinigten Königreich schon lange im Gange. So werden in einer Studie aus dem Jahr 1970 ganze 17.000 Menschen ihr Leben lang begleitet. Alle Personen wurden 1970 innerhalb einer Woche geboren und werden in Intervallen erneut untersucht. Es werden dabei Daten zur Gesundheit, Lebensstil und zum sozialen Umfeld erhoben. Aber auch was genetische Kohorten angeht, waren andere schneller. Den Startschuss für das estnische Genom-Projekt gab es bereits im Jahr 2000. Mittlerweile hat die Kohorte bereits die SNPs von 200.000 Teilnehmern untersucht. Das sind bereits 20% der Erwachsenen in Estland. Genomics England hat 2018 bereits 100.000 Genome ganzgenomsequenziert. Die gewonnenen Informationen helfen bereits heute bei der Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen und auch Krebs. Ja, aber es ist wunderbar, dass Deutschland nun auch mit zumindest einer Genotypisierung der Studienteilnehmenden begonnen hat. Vor allem auch, da bei der NAKO Kohortenstudie die Lebensumstände und der Gesundheitszustand der Probanden eine ebenfalls Rolle spielt. Das liefert Kontext, anstatt sich nur isoliert das Genom anzuschauen. Auch sind die Probanden in der NAKO Studie, anders als bei Genomics England, zufällig ausgewählt. Ein Querschnitt durch die Bevölkerung liefert ein breiteres Bild. Frau Peters, was ist denn Ihre Prognose für die Zukunft? Welche Erkenntnisse können durch den Ausbau von Kohortenstudien zukünftig gewonnen werden?

Prof. Dr. Annette Peters: Für die Zukunft erwarten wir uns ganz neue Erkenntnisse, wie unsere Bevölkerung und wie wir krank werden und was dazu führt, dass wir gesund bleiben. Und ein wichtiger Aspekt aus meiner Sicht ist der Einfluss der Covid-Pandemie. Weil wir haben mit der Studie vor der Covid-Pandemie begonnen. Wir haben jetzt während der Covid-Pandemie 70.000 unserer 200.000 Personen nachuntersuchen können. Und jetzt in der dritten Förderphase können wir alle Teilnehmer:innen nochmal wieder einladen zur dritten Untersuchung zu kommen. Und ich glaube das ist ganz, ganz wichtig. Wir leben in sich wandelnden Zeiten. Und haben die Klimakrise, wir werden alle älter, wir haben/hatten die Corona-Pandemie und wir stellen auch fest, dass auf der ganzen Welt der Unterschied zwischen arm und reich größer wird. Und diese Veränderungen und was das für unsere Gesundheit bedeutet, das kann ich mit so einer großen Studie abbilden. Und ich glaube das ist ein ganz unschätzbarer Wert für zukünftige Generationen. Die Ergebnisse unserer Studie werden auf der einen Seite in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlich. Aber viele meiner Kolleg:innen und auch ich selber sind über unsere Fachzirkel hinaus aktiv. Zum Beispiel haben Studien aus der Vergangenheit, die ich selber durchgeführt habe, dazu geführt, dass es jetzt neue Empfehlungen Weltgesundheitsorganisationen in Bezug auf die Luftschadstoffe gibt. Und wir gemeinsam versuchen, jetzt immer wieder laut zu sagen, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe in Europa deutlich abgesenkt werden müssen. Das heißt wir Wissenschaftler:innen der NAKO engagieren uns in diesen unterschiedlichen Bereichen. Sei es nun um auf das Risiko von Berufsgruppen, sei es nun um auf die Bedeutung der mentalen Gesundheit hinzuweisen, oder neue Trends bei der Entwicklung von Diabetes abzubilden. Das heißt unsere Ergebnisse bleiben nicht nur in den wissenschaftlichen Fachzirkeln, sondern werden auch an Krankenkassen, an politische Entscheider, mitkommuniziert

Janika Kiltz: Die NAKO hat also nicht nur das Potenzial, unser Verständnis von Krankheiten zu verändern, sondern die NAKO hat auch das Potenzial, die Zukunft mit zu formen. Je mehr wir verstehen, desto gezielter können wir versuchen unsere Lebensbedingungen zu verbessern. Und damit das fortführen, was John Snow 1854 in London begonnen hat.

00:37:00: Outro-Musik

Janika Kiltz: Dieser Podcast wurde präsentiert von GHGA. Wir bieten Infrastruktur, in welcher Genomdaten sowie weitere medizinische Daten sicher gespeichert und kontrolliert zugänglich gemacht werden können. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und ist Teil der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur. Weitere Informationen findet ihr unter www.ghga.de. Vielen Dank fürs Zuhören und herzlichen Dank an unseren heutigen Gast [Frau Professor Annette Peters]. Bis zum nächsten Mal!”