Johanna Stegmann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge vom Code des Lebens. Mein Name ist Johanna Stegmann und heute geht es um unser Immunsystem, unserem persönlichen Schutzschild gegen Infekte. Was passiert eigentlich, wenn unser Körper gegen Krankheitserreger ankämpfen muss? Warum ist es so, dass manche scheinbar kaum krank werden, während andere ständig mit Infekten zu kämpfen haben? Und kann man sein Immunsystem wirklich trainieren? Mit meinem heutigen Gast spreche ich darüber, wie unser Immunsystem funktioniert, welche Rolle das Mikrobiom spielt und ob es wirklich etwas bringt, sich bewusst Erregern auszusetzen. Heute ist übrigens Tag der Seltenen Erkrankungen. Passend dazu werfen wir einen Blick auf besondere medizinische Herausforderungen. Was passiert, wenn das Immunsystem den eigenen Körper angreift? Und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Menschen, deren Immunsystem nicht richtig arbeitet oder sogar fehlt? Hier spielen Forschungsvereinigungen wie das deutsche Netzwerk für die Erforschung und Therapieoptimierung von Patient:innen mit genetischen Multiorgan-Autoimmunerkrankungen eine wichtige Rolle. Was sich genau hinter diesem Begriff verbirgt, erfahrt ihr im Laufe der Folge. Das Ziel des Netzwerks ist es, diese komplexen Erkrankungen besser zu verstehen und neue Behandlungsansätze zu entwickeln. Freut euch in dieser Folge außerdem auf praktische Tipps, wie wir unser Immunsystem unterstützen können, um Infekten vorzubeugen. Hallo Herr Grimbacher. Ich freue mich sehr, dass sie sich heute Zeit für uns nehmen. Bevor wir ins Thema einsteigen, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Ja, erstmal herzlichen Dank für die Einladung. Mein Name ist Bodo Grimbacher. Ich bin Professor am Zentrum für chronische Immundefizienz an der Universitätsklinik in Freiburg und mein Forschungsschwerpunkt sind die angeborenen Immundefekte. Das heißt ich sehe in meiner Ambulanz als Arzt Patienten und Familien, die immer wieder an Infekten leiden, mehr als die gesunde Bevölkerung und suche deren Ursachen in der Forschung. Das heißt ich sehe die Patienten am Vormittag, nehme denen Blut ab, und am Nachmittag gehe ich mit diesen Blutproben ins Labor und wir suchen im Labor nach genetischen oder auch umweltbedingten Ursachen, warum diese Familien oder diese Patienten vermehrt an Infekten leiden.
Johanna Stegmann: Ja, vielen Dank für die kurze Vorstellung. Lassen Sie uns erstmal mit den Grundlagen beginnen. Was genau ist ein Infekt und wie entsteht er eigentlich?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Also, da fangen sie gerade mit einer der schwersten Fragen am Anfang an, weil der Begriff Infekt ist schwierig zu definieren. Auf der einen Seite gibt es nämlich akute Infekte und auf der anderen Seite chronische Infekte. Wir kennen den akuten Infekt zum Beispiel von der Grippewelle oder von der Coronavirusinfektion. Oder vom Salmonellen-Infekt, wenn man verdorbene Lebensmittel isst. Das sind akute Infekte, die von außen, durch die Umwelt, zum Beispiel über das Atmen oder den Genuss von Lebensmitteln, in den Körper eindringen und dann Infektion machen. Diese Viren oder Bakterien vermehren sich dann im Körper und müssen durch das Immunsystem bekämpft und abgetötet werden. Und im Idealfall ist der Infekt dann auch rum. Dann finden sich anschließend nach dem Infekt keine Salmonellen mehr im Darm, weil die alle ausgeschieden worden sind, zerstört worden sind. Es gibt aber auch Infekte die verlaufen chronisch. Wenn die Windpocken im Kindesalter eintreffen, dann persistiert der Windpocken-Virus im Körper, als Varicella-Zoster-Virus, und kann dann im Alter, wenn das Immunsystem schlapp wird oder aus anderen Gründen niedrig ist, die Immunität, kann dann ausbrechen als Gürtelrose. Das sind chronische Infekte, die sich deshalb manifestieren, weil das Immunsystem nicht immer gleich stark den im Körper persistierenden Virus kontrolliert. Ein anderer chronischer Infekt wäre zum Beispiel Tuberkulose. Es gibt viele ältere Mitmenschen, die nach dem Krieg Tuberkulose exponiert waren. Dieses Tuberkulosebakterium in ihrer Lunge mit sich tragen, und jetzt im Alter, wenn das Immunsystem schlapp und schwach wird, oder wenn sie Krebs kriegen, dann ausbricht, weil das Immunsystem diesen Erreger in der Lunge nicht mehr kontrollieren kann. Es gibt auch Patienten, die werden krank, durch Mikroben, die sie jahrelang in ihrem eigenen Mikrobiom mit sich tragen. Wenn sie dann aber zum Beispiel Immunsuppressiva einnehmen, also Medikamente einnehmen, oder wegen einer Knochenmarkstransplantation immunsupprimiert werden, dann kommen diese eigentlich nicht pathogenen Keime, die ständig kontrolliert wurden vom eigenen Immunsystem, heraus und machen die Patienten dann schrecklich krank.
Johanna Stegmann: Ich habe manchmal das Gefühl, dass es schon ziemlich ungerecht verteilt ist, dass manche Menschen viel häufiger an Infekten erkranken, als andere Menschen. Woran liegt das dann? Ist das nur genetisch bedingt oder gibts dann noch andere Faktoren, die mit reinspielen?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Das erklärt sich durch viele verschiedene Level. Der erste Level ist die Exposition. Das heißt, wenn ich immer FFP2 Maske trage, dann bin ich natürlich weniger exponiert, als der Lehrer, der jeden Tag in der Grundschule seinen 30 Kindern gegenübersteht und angeschnieft und angehustet wird. Die Menge an Keimen, die auf einen zukommen, ist ein großer Risikofaktor. Das Zweite, natürlich das Verhalten. Ja, wenn ich ein Raucher bin und mit dem Rauchen das Flimmerepithel in meinen Bronchen lähme, dann habe ich natürlich auch durch mein Verhalten ein erhöhtes Infektrisiko, weil es dann natürlich die Keime viel leichter haben, sich in meinen Bronchen anzusiedeln, weil das Flimmerepithel sie nicht nach oben treiben kann. Und die dritte Ebene ist dann die Genetik. Genetisch sind wir leider ungerecht verteilt in der Bevölkerung. Es gibt manche Menschen, die wegen ihren Genen schnell laufen können und super Sportler sind, und andere Menschen die haben halt ein super fittes Immunsystem. Die sind nie im Krankenhaus und werden 90 Jahre alt, obwohl sie geraucht haben. Ja, die haben halt genetisch eine super Ausstattung und können mit verschiedenen Faktoren besser umgehen. Und es gibt auf der anderen Seite die Kinder, die ohne Immunsystem geboren werden, weil sie einen genetischen Defekt tragen, der das Immunsystem komplett lahmlegt. Und zwischen diesen beiden Polen - ohne Immunsystem geboren und 90 Jahre alt werden trotz Rauchen - gibt es natürlich alle Schattierungen dazwischen. Ich bin zum Beispiel einer, der dieselben vier Kinder zu Hause hat. Ich kriege jeden Winterinfekt, während meine Frau, die ist Lehrerin, hat auch dieselben vier Kinder zu Hause, und wird nicht jeden Winter krank. Da sieht man den Unterschied, dass einer mit genetischer Ausstattung, wie er geboren ist, so auch dann leben muss und sich dann in seinem Verhalten auch danach richten muss.
Johanna Stegmann: Wie sieht das dann mit Maske tragen aus? Ich habe die Erfahrung gemacht, nachdem die Corona-Maßnahmen aufgehoben wurden, also Maske anziehen und Abstand halten, dass ich da deutlich öfter krank geworden bin als vor Corona. Ist da was dran?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Das was Sie nachfragen ist wirklich so. Wir haben das ja nach der Coronapandemie gesehen, dass nachdem, nach drei Jahren Maske tragen die Menschen die Maske wieder abgenommen haben, gab es einen Riesenschub an Krankmeldungen, gab es einen Riesenschub an respiratorischen Infekten, weil das Immunsystem tatsächlich ständig neu trainiert werden muss. Und wenn dieses Training ausfällt, einen Winter lang zum Beispiel, dann wird man im Nachklapp häufiger krank. Und das ist leider blöd fürs Immunsystem, weil jede Infektion bei Patienten, die zusätzlich eine Prädisposition für Autoimmunität oder Autoinflammation haben, kann eben diese Autoimmunität und Autoinflammation triggern. Das heißt, wir haben tatsächlich nicht nur eine erhöhte Rate an Infekten gesehen in den Jahren nach der Pandemie, sondern auch einem erhöhten Rate an Autoimmunität und Autoinflammation bei den Patienten, die dafür, (genetisch wahrscheinlich) prädisponiert sind.
Johanna Stegmann: Ja, sehr spannend. Das heißt, das deckt sich auch mit meinen privaten Beobachtungen. Wie bestimmt auch einige unserer Hörerinnen und Hörer, pendele ich regelmäßig mit dem Zug zur Arbeit, und besonders im Winter sitzen da immer viele viele erkältete Menschen auf engem Raum. Ich frag mich hier oft: sollte ich eine Maske tragen, um mich zu schützen? Oder ist es vielleicht sogar sinnvoll, mein Immunsystem bewusst den Erregern auszusetzen?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Ich bin derjenige, der hier Letzteres machen würde. Nämlich alles einfach mal mitnehmen und mein Immunsystem trainieren. Aber ich muss auch nicht morgen ein Abitur schreiben. Das heißt, es gibt Lebenssituationen, wo es sich tatsächlich empfiehlt, sich zu schützen. Und es gibt auch Menschen, die einfach wissen, dass, wenn sie jetzt die Maske abnehmen und sich den ganzen Keimen exponieren, dass sie dann krank werden. Und wenn dann gerade ein schöner Urlaub deswegen kaputt geht, dann wird es sich schon empfehlen, die Maske aufzuziehen.
Johanna Stegmann: Ich finds ja immer spannend, zu schauen, was man selbst tun kann, um die Infektanfälligkeit zu verringern. Gibts dann noch andere Faktoren, die eine Rolle spielen, und die man selbst auch beeinflussen kann?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Wenn sie Schlafentzug haben, zum Beispiel Schichtarbeiter, haben eine höhte Infektanfälligkeit. Wenn sie sich zu sehr anstrengen, also zum Beispiel einen Marathon laufen, ist nachgewiesen, dass nach der zu starken physischen Anstrengung, zum Beispiel nach dem Marathonlauf, die Infektanfälligkeit erhöht ist. Die Inzidenz von Lungenentzündungen ist erhöht.
Johanna Stegmann: Kurzer Nachklapp. An alle, die gerne Marathon laufen, ist das bestimmt eine beruhigende Nachricht.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Der Marathonläufer, der trainiert ja. Ich will ja nicht Leute davon ablenken, Hochleistungssport oder Marathonläufe zu machen. Wenn sich einer da langsam rantrainiert, dann gewöhnt sich das Immunsystem auch an diese Belastung.
Johanna Stegmann: Also: Schlafenzug, Rauchen, Exposition und zu schnelle zu starke Belastungen sind Faktoren, die wir größtenteils selbst beeinflussen können. Und es gibt noch mehr.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass eine Mangelernährung auch zu Infektanfälligkeit führt. Das ist in Deutschland nicht das Problem. Also wir reden hier von Ländern, wo wirklich Proteinmangelernährung vorliegt. Aber wenn man sich in Deutschland normal ernährt, und nicht immer nur zu den Fastfoodketten geht, dann ist eine gesunde Ernährung gesichert. Das Vierte ist am schwierigsten zu beeinflussen, aber es ist auch wissenschaftlich nachgewiesen, dass Stressreduktion zu verminderten Infekten führt. Menschen, die sehr viel Stress, auch subjektivem Stressempfinden ausgesetzt sind, werden häufiger krank.
Johanna Stegmann: Wie ist das denn mit der Häufigkeit? Gibts da einen Richtwert, den man anwenden kann, ab wie viel Infekten pro Jahr man genauer hinschauen sollte?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Wenn Patienten mehr als drei Infekte pro Jahr haben, die antibiotisch behandelt werden müssen, oder deswegen man länger als drei Wochen krankgeschrieben ist, dann ist es pathologisch. Dann sollten sie von einem Arzt evaluiert werden, und hier am besten von einem Internisten oder von einem Infektiologen oder Immunologen, um das Immunsystem zu untersuchen, weil dann könnte es sein, dass da ein Immundefekt vorliegt.
Johanna Stegmann: Wie ist es dann, spielt es da auch mit rein, ob sich es immer um denselben Infekt handelt, oder um verschiedene Infekte?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Ja, es gibt nämlich so manche Lungenentzündungen, die verschleppt werden. Das zählt dann nur als ein Infekt. Also wenn Sie eine Bronchitis haben, die nicht mit Antibiotika behandeln, die dauert aber drei Wochen, und dann kriegen sie oben drauf eine Lungenentzündung und die wird dann mit Antibiotika behandelt, dann zählt das als ein Infekt. Weil die Bronchitis sich dann einfach zu einer Lungenentzündung ausgeweitet hat. Es gibt auch Lungenentzündungen, die nicht ausreichend mit Antibiotika behandelt werden oder mit einem falschen Antibiotikum behandelt werden, wenn die dann wiederkommen, zählt das nur als eine Infekt Episode.
Johanna Stegmann: In den Medien begegnen mir immer wieder Schlagzeilen wie: Stärke dein Immunsystem - mit diesen fünf Tipps wirst du weniger anfällig für Infekte. Klingt ziemlich gut, aber was steckt eigentlich dahinter? Infekte und unser Immunsystem hängen eng miteinander zusammen. Ein starkes Immunsystem hilft dabei, Infekte besser abzuwehren oder schneller wieder gesund zu werden.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Das Immunsystem definiere ich jetzt mal so, als die weißen Blutkörperchen im Blut, die die Infekte kontrollieren.
Johanna Stegmann: Unser Immunsystem ist ein echtes Hochleistungsteam. Und die weißen Blutkörperchen, auch Leukozyten genannt, sind dabei die Hauptakteure. Also quasi die Sicherheitskräfte unseres Körpers, die uns vor Krankheitserregern schützen. Aber nicht alle weißen Blutkörperchen machen das auf die gleiche Weise. Es gibt verschiedene Spezialisten mit unterschiedlichen Aufgaben. Manche greifen die Erreger direkt an, andere koordinieren die Abwehr oder sorgen dafür, dass wir bei einer erneuten Infektion schneller reagieren können. Fangen wir mit der ersten Verteidigungslinie an - den Granulozyten. Sie sind die schnellen Einsatzkräfte des Immunsystems. Ihre Aufgabe besteht darin, Eindringlinge zu erkennen und unschädlich zu machen. Entweder, indem sie sie fressen oder spezielle Enzyme freisetzen. Dann gibt es die Makrophagen: unsere Fresszellen. Sie sind sozusagen die Müllabfuhr des Immunsystems. Sie beseitigen Krankheitserreger und tote Zellen und alarmieren andere Immunzellen, wenn Gefahr droht. Die dendritischen Zellen sind die Späher. Sie sammeln Informationen über Eindringlinge und präsentieren diese den T-Zellen, damit diese dann gezielt reagieren können. Und damit sind wir schon bei den Lymphozyten, den Spezialkräften unseres Immunsystems. Wir unterteilen Sie in B- und T-Zellen. Hier kommen die wichtigsten Vertreter - es gibt aber noch viele Weitere. Es gibt da die T-Killerzellen, die zerstören die Infizierten Körperzellen. Die T-Helferzellen, die steuern und koordinieren die gesamte Immunreaktion. Und die T-Gedächtniszellen, wie der Name schon sagt, die merken sich die Erreger, sodass unser Körper beim nächsten Mal schneller reagieren kann. Die B-Zellen sind unsere Antikörperfabriken. Sie produzieren gezielt Antikörper, die Erreger erkennen und neutralisieren. Außerdem bilden sie die B-Gedächtniszellen, die sich Eindringlinge merken. Damit unser Immunsystem beim nächsten Kontakt sofort weiß, wie es reagieren muss. Neben den B- und den T-Zellen gibt es noch eine weitere Spezialtruppe der Lymphozyten: die natürlichen Killerzellen. Sie sind die schnelle Eingreif-Gruppe des Immunsystems und erkennen infizierte oder entartete Zellen, zum Beispiel Krebszellen, und zerstören sie gezielt, ohne, dass sie vorher aktiviert werden müssen. All diese Zellen gehören zu den Leukozyten, also den weißen Blutkörperchen. Zusammen bilden sie ein ziemlich ausgeklügeltes Abwehrsystem, das uns rund um die Uhr vor Krankheiten schützt.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Aber das steht nicht alleine da, sondern es arbeitet, sehr wichtig, mit den Barrieren, den Oberflächen zusammen. Mit Barrieren meine ich zum Beispiel die Haut, oder die Schleimhäute, oder die Lungenoberfläche. Da ist ganz wichtig, dass die Barrieren einen ausreichenden pH haben, intakt sind, keine Verletzungen auf der Haut sind, dass die Schleimhaut nicht entzündet ist. Wenn die gestört sind, die Barrieren, dann hats natürlich das Immunsystem schwerer, die Infekte zu kontrollieren, und das ist wieder dann eine Expositionsfrage, da haben ja auch die Bakterien und Viren es leichter, in den Körper einzudringen. Dann hat das Immunsystem mehr zu tun und hat es dann schwerer, alles zu kontrollieren. Und deswegen kriegen zum Beispiel auch Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung, wo der Darm entzündet ist, vermehrte Infekte, weil einfach diese Darmbakterien dann sehr leicht über die Darmbarriere in die Leber gelangen können und im Blutstrom Probleme machen können.
Johanna Stegmann: Wir sind also eigentlich durch verschiedene Barrieren und Mechanismen sehr gut geschützt. Aber kann unser Körper auch zu viel zu tun bekommen? Zum Beispiel, wenn ich gleichzeitig eine Schnittwunde habe, eine bakterielle Infektion und oben drauf noch eine Grippe?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Also ich vergleiche mit meinen Studenten, wenn ich eine Vorlesung halte, das Bild von der Hochschönburg, einem Schloss, was verschiedenste Abwehrmauern hat, und verschiedenste Abwehrtechniken, wo dann damals das Pech auf die Angreifer geschüttet wurde, und wo mit Kanonenkugeln rausgeschossen werden konnte, aus den Schießscharten, ja, und wenn aber die Armeen einfach zu groß sind, oder einer anfängt mit einer Riesenkanone die Abwehrmauern zu zerstören und zertrümmern, dann muss irgendwann die beste Festung nachgeben. Und so ist es beim Immunsystem genauso. Wie stark diese Festungsmauern sind, wird meistens genetisch bestimmt.
Johanna Stegmann: Unser Immunsystem besteht also aus verschiedenen Bausteinen und Abwehrmechanismen. Aber das ist noch nicht alles, wir besitzen ein angeborenes Immunsystem und eines, dass wir im Laufe unseres Lebens erst bilden müssen, das adaptive Immunsystem.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Babys werden mit einem angeborenen Immunsystem, deshalb heißt es angeboren, geboren. Das heißt, zum Beispiel Makrophagen fressen von Geburt an Bakterien auf, die nicht in den Körper gehören. Das brauchen die nicht lernen. Granulozyten gehören zum angeborenen Immunsystem. Wenn die ein Bakterium haben, dann bildet sich Eiter, bestehend aus Granulozyten, zerstört dann die Bakterien. Und das ist im Gegenteil zum erworbenen Immunsystem, was nämlich gelernt hat, auf einen speziellen Infekt hin zu reagieren. Zum Beispiel wenn ich geimpft werde, wir nennen das Antigen, dieses Antigen, dem Immunsystem bekannt ist, oder wenn ich eine Infektion im Kindesalter schon mal gehabt habe, dann erinnert sich das Immunsystem. Ach, das habe ich schon mal gesehen, das ist gefährlich, das muss ich eliminieren, das ist ein Antigen was ich nicht in meinem Körper haben möchte. Und hat dann ist durch spezifische T-Zellen oder spezifische Antikörper dieses Gedächtnis ausgebildet, und können dann, weil sie dieses Antigen schon mal gesehen haben, sehr schnell dieses Antigen eliminieren. Das ist der Grund, warum Kinder immer mit einer Rotznase rumlaufen und erstmal drei Wochen brauchen, bis sie den Infekt eliminiert haben. Und wenn derselbe Virus dann aber 10 Jahre später wiederkommt. dann kennt man den schon. Entweder weil man geimpft wurde oder weil man es dann als Kind schon mal durchgemacht hat. Und dann wird der Infekt nicht mehr so schwer und ist vielleicht in drei Tagen schon vorbei. Das heißt, dieses adaptive Immunsystem, das erlernte Immunsystem, hat ein Gedächtnis, welches wichtig ist, schon mal abgelaufene Infekte, sich wieder dran zu erinnern und dann sehr schnell und effizient zu eliminieren. Und das Immungedächtnis kann man halt mit Impfungen trainieren, deshalb ist uns in der Medizin so wichtig, dass ein Individuum, das sind ja nicht nur Patienten, sondern dass jedes Individuum gut durch Impfungen geschützt ist.
Johanna Stegmann: Schauen wir uns die Impfung am Beispiel vom Coronavirus genauer an bei. Bei der Impfung wird dem Körper ein Bestandteil des Virus präsentiert, damit das Immunsystem eine Abwehrstrategie entwickeln kann. Hier spielt das sogenannte Spike Protein eine zentrale Rolle. Es befindet sich auf der Oberfläche des Coronavirus und hilft ihm dabei, in die menschlichen Zellen einzudringen.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Wenn ich zum Beispiel mit dem Spike Protein geimpft werde, dann wird das ja in einer Zelle als Eiweiß produziert, und wird von den sogenannten antigenpräsentierenden Zellen dem Immunsystem dargestellt. Da sind Oberflächenrezeptoren auf antigenpräsentierenden Zellen, die dann das zerstückelte Eiweiß, also in kleineren Fragmenten, dem Immunsystem präsentieren. Deshalb heißen die antigenpräsentierenden Zellen. Und wem präsentieren die das? Das präsentieren die den Lymphozyten, den T- und den B-Zellen. Die Lymphozyten haben die Eigenschaft, dass sie Oberflächenrezeptoren haben, nämlich T-Zell-Rezeptoren und B-Zell-Rezeptoren, die extrem unterschiedlich aussehen. Und zwar haben die eine Erkennungswert von Millionen von Antigenen. Sie können sich das so vorstellen, dass eine B-Zelle nicht denselben Oberflächenrezeptor wie in eine andere hat. Und das ist bei T-Zellen genauso. Jetzt werden von der Antigenpräsentierenden Zelle genau die T- und B-Zellen rausgesucht, deren Antigenrezeptor genau passt auf das Antigen, was gerade bekämpft werden soll. Sprich auf das Spike Protein, wo wir gerade Antikörper produzieren wollen. Und dann werden diese, genau diese, die auf dieses Antigen passen, Lymphozyten aktiviert und vermehren sich. Also im Lymphknoten entwickelt sich dann ein sogenanntes Keimzentrum, und diesem Keimzentrum vermehren sich genau die Lymphozyten, die spezifisch auf dieses Antigen reagieren. Das führt dann dazu, dass die B-Zellen spezifische Antikörper, spezifisch auf dieses Antigen, was gerade bearbeitet wird im Lymphknoten, ausbilden, und dann wird die B-Zelle zu einer Plasmazelle und diese Plasmazelle geht dann ins Knochenmark und schüttet, für die nächsten hoffentlich 10 Jahre, diesen speziellen Antikörper aus, der dann bei einer Wiederinfektion mit dem Spike Protein tragenden Coronavirus dieses Spike Protein erkennt. Und, weil es ein Antikörper ist, der flüssig sich im Blut zirkuliert, kann er den Virus dann binden und zerstören.
Johanna Stegmann: Antikörper sind übrigens nicht gleich Antikörper. Es gibt verschiedene Typen und zwei besonders wichtige sind IgG und IgA. IgG schwimmt im Blut und in der Gewebeflüssigkeit und sorgt für langfristigen Schutz, zum Beispiel nach einer Impfung oder einer durchgemachten Infektion. IgA kommt vor allem in Speichel, Tränen, Atemwegen und im Darm vor. Also genau dort, wo Erreger als Erstes eindringen. Grob gesagt: IgG bewacht das Innere des Körpers, IGA verteidigt die Außengrenzen.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Und Impfungen machen hauptsächlich Immunglobin G, also IgG-Antwort, das sind die, die im Blut die Antigene erkennen und die Viren und Bakterien im Blut abtöten. Es ist aber genauso wichtig, eine gute Schleimhautimmunität zu bekommen, und die ist durch Immunisierung nicht so leicht zu erreichen. Um die Schleimhautimmunität zu bekommen, muss man halt häufige, wirkliche Auseinandersetzungen mit dem Wildtyp Coronavirus gehabt haben.
Johanna Stegmann: Gibt es bei Antigenen eigentlich auch so eine Art Ablaufdatum? Also verliert das irgendwann die Wirkung im Körper? Und macht es einen Unterschied, wie viele Antigene gleichzeitig im Körper sind?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Diese Frage ist schwierig zu beantworten, weil das nicht genau bekannt ist. Wir gehen davon aus, dass, wenn ein Infekt sich im Körper durch Krankheitsmanifestationen, also Schnupfen, bemerkbar macht, dass dann die Infektlast hoch genug ist, dass man auch ein Immungedächtnis ausbildet. Da ist die Länge des Infektes nicht so wichtig. Wenn ich mich jetzt mit fünf Viren infiziere, und nicht mit 5000, ob dann trotzdem durch die fünf Viren ein immunologisches Gedächtnis ausbildet wird bei Menschen, ist mir nicht bekannt. Ich würde mich nicht wundern, wenn das Immunsystem ein Threshold hat, sage ich mal fünf Viren, da reagiere ich nicht. Aber bei 5000 reagiere ich schon. Und bei so einem Zwischenbereich mache ich kein wirklich gutes Gedächtnis. Was man aber zu dieser Frage wirklich auch sagen muss, ist, dass die Länge dieses Immungedächtnis von Antigen zu Antigen unterschiedlich ist. Das haben wir sehr schön bei der Coronapandemie vor Augen geführt, dass ja das Immungedächtnis gegen dieses Spike Protein, gegen das wir geimpft worden sind, möglicherweise nur ein bis zwei Jahre hält. Und dann muss man sich wieder impfen lassen. Während die Tetanusimpfung, die hält ja 10 oder 15 Jahre. Oder Pneumokokken-Impfung hält nur 5 Jahre. Also das ist wirklich so, dass, je nachdem über welche Impfung wir sprechen, das Anhalten dieser Impfung oder das immunologische Gedächtnis unterschiedlich lang ist. Und das liegt an der unterschiedlichen Langlebigkeit von diesen Plasmazellen, die eben diese Antikörper produzieren sollen. Da gibt es kurzlebige und langlebige, und je nachdem welche da induziert werden, muss sich zum Beispiel gegen Mumps-Masern-Röteln einmal im Babyalter impfen lassen und erhält eine lebenslange Immunität. Und das liegt natürlich an der Art des Impfstoffes. Es ist ein Lebendimpfstoff, der eine bessere Immunität hinterlässt, als zum Beispiel die proteinkonjugierten Impfstoffe oder die mRNA-Impfstoffe.
Johanna Stegmann: Gehen wir mal weg vom Impfen und hin zu einem weiteren Superstar unseres Körpers - unserem Darm. Genauer gesagt, dem Darmmikrobiom. Das ist eine riesige Gemeinschaft aus Mikroorganismen, die in unserem Darm leben. Und das spannende: diese kleinen Organismen haben großen Einfluss, nicht nur auf unsere Verdauung, sondern auch auf unser Immunsystem.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Also der Mensch lebt ja mit seinem Darmmikrobiom in Symbiose. Im Mutterleib sind wir noch komplett unbesiedelt mit Bakterien, weil wir von der Plazenta da geschützt werden. Das heißt, wenn das Kind geboren wird, entweder auf natürlichem Wege oder durch Kaiserschnitt. Auf natürlichem Wege extrem schnell, da muss es ja durch den Geburtskanal, und da wird das Baby massiv mit Bakterien besiedelt werden. Die Haut schluckt Fruchtwasser, ja, das enthält dann Bakterien. Das heißt, man weiß, dass zum Beispiel Kinder, die durch Schnittentbindung, also Kaiserschnitt, entbunden werden, am Anfang ein ganz anderes Mikrobiom haben. Nämlich ein viel geringeres Mikrobiom als welche, die auf natürlichen Weg entbunden werden. Aber man hat auch rausgefunden, dass selbst die Kinder mit Kaiserschnitt, dann nach 3 Monaten ein Mikrobiom haben, was sich vergleichen lässt mit den natürlich entbundenen Kindern. Seit Geburt leben wir mit diesem Darmmikrobiom zusammen und das diversifiziert sich dann, also nicht nur wenige Darmbakterien, sondern ganz viele verschiedene Darmbakterien etablieren sich dann, weil das so wichtig ist für unseren Darm. Es gibt Aminosäuren, die wir gar nicht selbst synthetisieren können, sondern wo wir auf Bakterien im Darm angewiesen sind. Das Tryptophan zum Beispiel, dass die Bakterien uns im Darm synthetisieren, damit wir das aufnehmen können. Und genauso ist das bei jeder Nahrung. Wir brauchen Bakterien, die die Nahrung, die wir zu uns nehmen, fermentieren und aufarbeiten, dass wir die dann als Glucosemoleküle oder Anderes dann auch aufnehmen können. Also es ist ganz wichtig, dass wir ein gesundes Mikrobiom in uns tragen. Das ist eine Symbiose - wir können ohne die Bakterien nicht, die Bakterien können natürlich ohne uns nicht. Und jetzt gibt es das sogenannte gesunde Mikrobiom, von dem jeder Mensch profitiert. Aber es gibt natürlich auch Situationen, wenn zum Beispiel ein schlechtes Darmbakterium das ganze überwuchert, zum Beispiel im Rahmen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, dann kann es dazu führen, dass diese Überwucherung von schlechten Darmbakterien dann Läsionen und Entzündungen in der Schleimhaut macht und den Patienten krank macht. Es ist ebenfalls nachgewiesen, dass wir nicht nur in der Nahrungsaufnahme von den Bakterien profitieren, sondern dass unser Mikrobiom auch das Immunsystem primed. Also es gibt diese Lymphknoten im Darm, die nennt man Payer‘s Patches, und in diesen Lymphknoten im Darm wird auch entschieden, was ist gut, was ist schlecht, was sind diese Salmonellen Antigene, die ich bekämpfen muss, wogegen muss ich spezifische Antikörper machen und was ist, sage ich mal Apfelantigen, Pektin, was ich jetzt irgendwie tolerieren muss, und nicht das Immunsystem gegen aktivieren darf, weil sonst würde ich ja auf jede Nahrung, die ich einnehme, die nicht selbst ist, allergisch reagieren. Das ist eine wichtige Erziehung, die das Mikrobiom in Interaktion mit unserem Darmimmunsystem leistet. Und man weiß, zum Beispiel von Mäusen, die man steril hält, die haben ein Immunsystem wie Säuglinge, die können noch so alt werden, aber ihr Immunsystem ist nicht ausgebildet. Weil diese Interaktion im Darm mit dem Mikrobiom fehlt.
Johanna Stegmann: In meiner Recherche zu unserer heutigen Folge bin ich auf den Begriff Immundysregulation gestoßen. Was genau bedeutet der Begriff?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Also Immundysregulation fasst eigentlich zusammen, die Autoimmunität und die Autoinflammation. Das ist ein bisschen schwer auseinanderzuhalten, auch klinisch, aber wir definieren Autoimmunität als eine Reaktion des Immunsystems gegen spezifische Antigene, also sage ich mal eine Dysregulation des erworbenen Immunsystems. Während die Autoinflammation eine Überreaktion des angeborenen Immunsystems ist. Das heißt, eine Autoinflammation ist etwas, wo man nicht antigenspezifisch das Immunsystem aktiviert, sondern wo generell eine Fiebererkrankung zum Beispiel, Fieber macht, wie beim chronischen Mittelmeerfieber. Das ist eine Erkrankung, wo der Mensch, der diese genetische Prädisposition hat, einfach auf Erreger, meistens Infekt-getriggert, mit Fieber und Bauchschmerzen reagiert, obwohl andere Menschen das nicht machen würden. Man redet immer von der Immun-Homöostase, das heißt das Immunsystem muss immer im Gleichgewicht bleiben, ja, und wenn dann ein Infekt kommt oder das Immunsystem geärgert wird, dann macht es Inflammation. Das soll es ja auch, dafür ist es ja da, um den Erreger zu eliminieren. Und dann muss aber diese Entzündung auch wieder zu zurückgefahren werden. Und das ist zum Beispiel Autoinflammation, wenn das Immunsystem geärgert und getriggert wird, es macht Inflammation, aber dann nicht mehr zurückgefahren wird, und diese Inflammation nicht mehr beendet wird. Dann manifestieren sich hyperinflammatorische Erkrankungen, und die gehören in das Spektrum der Immundysregulation.
Johanna Stegmann: Bei einer Immunsystemdysregulation kommt es also zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems. Bei einer Autoinflammation reagiert das angeborene Immunsystem über und löst eine allgemeine Entzündung aus, ohne ein spezifisches Antigen zu bekämpfen. Ein Beispiel dafür ist das chronische Mittelmeerfieber. Betroffene reagieren auf Infekte mit Symptomen wie Fieber und Bauchschmerzen, obwohl andere Menschen nicht so stark darauf reagieren.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Das gleiche gilt auch für die Autoimmunität. Auch Autoimmunität kann Infekt-getriggert sein. Das sind dann spezifische T-Zellen oder spezifische B-Zellen, die Antikörper produzieren, die über ihre falsche Antikörperantwort eigene Körperstrukturen erkennen. Zum Beispiel eigene rote Blutkörperchen, eigene Strukturen der Schilddrüse, und dazu führen, dass man, im Falle der Schilddrüse, dann Hashimoto-Thyreoiditis oder Basedow-Erkrankung bekommt. Oder im Falle der Antikörper gegen rote Blutkörperchen autoimmunhämolytische Anämie. Weil das Immunsystem die eigenen Strukturen zerstört. Und das ist natürlich eine Dysregulation, weil, die Aufgabe des Immunsystems ist es ja, fremd von eigen zu erkennen. Wenn das Immunsystem sich gegen die eigenen Strukturen richtet, dann nennt man das Autoimmunität.
Johanna Stegmann: Sie hatten erwähnt, dass unsere genetische Veranlagung beeinflusst, wie anfällig wir für Infektionen sind. Gilt das auch für Autoinflammationen und Autoimmunerkrankungen? Welche Rolle spielen hier die genetischen Faktoren?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Die Prädisposition zur Autoinflammation ist meiner Ansicht nach hauptsächlich genetisch bedingt. Warum? In der Evolution ist es ja so, die Menschen haben überlebt, die die ganzen Pandemien, die in den letzten Millionen Jahren abgelaufen sind, überlebt haben. In unseren Zeiten ist es natürlich ein Nachteil, weil wir nicht mehr so viel mit diesen Erregern zu tun haben. Aber es ist tatsächlich so, dass durch die Evolution bedingt, die Autoinflammation etwas Gutes ist. Und wer viel Autoinflammation hatte, hat früher bei den Pandemien besser überlebt. Deshalb sehen wir auch diese inflammatorischen Erkrankungen, wie zum Beispiel die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, jetzt noch in unserer Bevölkerung. Wenn man jetzt noch Zeit hätte, Millionen Jahre zu warten, dann gehe ich davon aus, dass auch diese Hyperinflammationserkrankungen sich nicht mehr so ausprägen werden. Bei Autoimmunität ist es ein bisschen anders. Die Autoimmunität ist, glaube ich, eher ein Zufallsprodukt. Weil diese Oberflächen-Rezeptoren von T- und B-Zellen, also in Lymphozyten, die werden auf Zufall hin generiert. Das heißt, es ist eigentlich ein Zufall, ob aus meinem Thymus eine autoreaktive T-Zelle rauskommt oder nicht. Weil durch dieses Rezept des Rearrangements, das wirklich zufallsgetrieben ist, sich Milliarden von Rezeptoren oder Millionen von Rezeptoren ausbilden. Und wenn da jetzt ein hochspezifischer, autoreaktiver dabei ist, der dann nicht ausgesiebt wird, dann kann sich diese Autoimmunität ausprägen. Dieser Siebmechanismus, die autoreaktiven Zellen auszusieben, ist aber auch wieder genetisch bedingt. Also, das heißt, auch die Autoimmunerkrankungen haben eine genetische Komponente. Zum Beispiel die häufigste Autoimmunerkrankung, die Lupus Erkrankung, da kennt man jetzt schon monogene Ursachen, wo Patient:innen, meistens Kinder, aufgrund von Mutationen in einzelnen Genen, dieser Aussiebmechanismus, du bist eine autoreaktive B-Zelle, du bist eine autoreaktive T-Zelle, du darfst nicht im Thymus überleben. Der Thymus ist ja die Schule der T-Zellen und die werden da ausgesiebt und deletiert, und dieser Mechanismus ist auch genetisch bedingt.
Johanna Stegmann: Ich stelle es mir sehr herausfordernd vor, genau zu bestimmen, welches Gen für ein Immundefekt verantwortlich ist. Kann es sogar sein, dass manchmal mehrere Gene im Zusammenspiel für die Entstehung einer Erkrankung verantwortlich sind?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Es gibt monogene Erkrankungen, da ist ein Gendefekt für den ganzen klinischen Verlauf, wir sagen den Phänotyp, verantwortlich. Weil der Gendefekt so schwerwiegend ist und nicht durch andere Gene kompensiert werden kann. Das sind dann die Achillesfersen des Immunsystems. Wenn man die kappt, dann wird man krank. Es gibt aber auch andere Gene, die sind redundant. Wenn die ausfallen, hat man noch ein anderes Gen, was so halbwegs noch kompensieren kann. Das heißt, es ist immer die Frage, welches Gen mutiert ist, um die Ausprägung zu bestimmen. Jetzt ist aber noch zusätzlich so, dass wir, neben den monogenen Erkrankungen, also wo nur ein Gen schuldig ist, und in der Tat, wir untersuchen aktuell 500 Gene, wenn ein Patient immunologisch erkrankt. Wenn zwei, oder drei, oder noch mehr Gene zusammenarbeiten müssen, um den Immundefekt zu erklären, dann sind wir in der Genetik noch gar nicht so weit, diese digenischen oder polygenen Erkrankungen überhaupt zu erkennen. Weil wir nicht genau wissen, ob eine milde Veränderung in einem Gen, plus eine milde Veränderung im anderen Gen, in der Addition dann den Phänotyp produzieren kann. Die ersten digenischen Erkrankungen, also Zweigenerkrankungen, werden zurzeit publiziert, aber schon bei dem Zusammenwirken von drei oder vier Genen hörts dann auf.
Johanna Stegmann: Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass bei einem einzelnen Gendefekt nur ein Organ betroffen ist, oder? Ein Gendefekt kann auch mehrere Organe gleichzeitig betreffen. Stimmt das?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Richtig, also das ist so, dass die meisten Gendefekte dazu führen, dass verschiedene Organe betroffen sind. Also die meisten genetisch bedingten sind Multiorganerkrankungen, weil ein Problem im System liegt. Das ganze System der Immunität funktioniert nicht, und das kann dann genauso die Lunge wie den Darm betreffen, oder das Gehirn.
Johanna Stegmann: Multiorgan-Autoimmunerkrankungen gehören zu den seltenen und besonders komplexen Erkrankungen. Wie der Name sagt – multiorgan - greift das Immunsystem nicht nur ein, sondern gleich mehrere Organe an. Zum Beispiel Lunge, Darm, Nieren oder das zentrale Nervensystem. Die Ursachen hierfür sind oft genetische Mutationen, die das Immunsystem fehlsteuern. Weil die Symptome von Person zu Personen oft stark variieren, dauert es meist sehr lange, bis eine Diagnose gestellt werden kann. Hier setzt das Forschungsnetzwerk GAIN an: das German Genetic Multiorgan Autoimmunity Network. Unser Gast Herr Grimbacher ist Sprecher des Netzwerks, das aus einer Gruppe von Forschenden aus verschiedenen Städten Deutschlands besteht. Ihr Ziel: Multiorgan-Autoimmunerkrankungen besser zu verstehen.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Warum? Weil es im Endeffekt diese monogenen Erkrankungen Modellerkrankungen sind, für komplexe und häufigere Erkrankungen. Also wir sehen zum Beispiel Patienten mit einer Mutation in CTLA-4 haben eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung.
Johanna Stegmann: Die CTLA-4 Defizienz entsteht durch eine Genmutation, die das Immunsystem nicht richtig bremst. Was meine ich mit Bremsen in diesem Kontext? Normalerweise gibt es Mechanismen, die verhindern, dass das Immunsystem überreagiert und körpereigene Zellen eingreift. Bei einer CTLA-4 Defizienz fehlt diese Kontrolle, weil das CTLA-4 Protein, das normalerweise dafür zuständig ist, die Immunreaktion zu dämpfen, nicht richtig funktioniert. Also, die Bremse funktioniert hier nicht richtig. Und weil das CTLA-4 Protein nicht richtig funktioniert, bleibt das Immunsystem dauerhaft zu aktiv und greift fälschlicherweise gesunde Organe an. Die Erkrankung zeigt sich bei Betroffenen ganz unterschiedlich. Manche leiden unter Entzündungen in verschiedenen Organen, andere haben häufige Infektionen.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Und wenn wir jetzt wissen, wie wir diese chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen behandeln können, dann kann man sich überlegen, ob das nicht vielleicht auch ein Mechanismus sein könnte, von dem Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen profitieren könnten, die nicht CTLA-4 mutiert sind. Weil sie vielleicht denselben, wir nennen es Endotyp, haben
Johanna Stegmann: Multiorgan-Autoimmunerkrankungen helfen uns, besser zu verstehen, wie das Immunsystem arbeitet und warum es manchmal Probleme macht. Dabei spielen Mutationen eine wichtige Rolle. Manche Mutationen verändern gar nichts. Alles funktioniert normal weiter. Andere sorgen dafür, dass das daraus entstehende Protein oder Enzym aktiver wird als vorher. Das nennt man gain of function. Dann arbeitet es länger, schneller oder übernimmt neue Aufgaben. Es gibt aber auch Mutationen, die das Gegenteil bewirken. Das nennt man loss of function. Dabei verliert das Protein oder Enzym seine Funktion ganz oder teilweise, weil es nicht mehr richtig arbeitet oder gar nicht erst gebildet wird. Ein Beispiel für eine gain of function Mutation gibt es im Gen, mit dem etwas kompliziert klingende Namen PI3 Kinase Delta. Dieses Gen stellt ein Enzym her, das das Immunsystem aktiviert. Wenn es durch eine Mutation zu stark arbeitet, gerät das Immunsystem durcheinander. Das kann dazu führen, dass der Körper ständig Entzündungen hat oder sich selbst angreift. In manchen Fällen kann das sogar die Entstehung von Tumoren begünstigen.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Wir lernen von diesen seltenen Erkrankungen. Das ist wie ein Fenster ins Immunsystem, ja, wir wissen, wenn man das eine Gen ausknockt, was hat das für eine Konsequenz für den Menschen. Und wenn wir das besser verstehen, dann kann man natürlich auch personalisierte Medizin entwickeln. Das heißt, wir helfen nicht nur den Menschen, die gain of function Mutationen in PI3 Kinase Delta, das ist dieses Enzym, was zu schnell arbeitet, was man dann hemmen kann, sondern wir helfen auch Patienten, die zum Beispiel wegen PI3 Kinase Delta Mutationen Tumore kriegen.
Johanna Stegmann: All diese Fortschritte hängen aber davon ab, dass die notwendige Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung auch weiterhin sichergestellt ist. Das BMBF unterstützt spezialisierte Forschungsverbände, die entscheidende Fortschritte in der Erforschung und Therapie seltener Erkrankungen ermöglichen. Netzwerke wie GAIN spielen hier eine zentrale Rolle. Und trotz allem steht die Finanzierung dieser wichtigen Arbeit auf der Kippe. Die Weiterförderung ist unsicher, und ohne finanzielle Unterstützung droht ein schwerer Rückschlag. Tausende Patient:innen, die auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und bessere Behandlungsmöglichkeiten angewesen sind, würden darunter erheblich leiden.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Deshalb ist die Förderung so wichtig, weil wir daraus nicht nur für diese Patienten etwas lernen, aber als Knock-On Effekt, dass wir die Pathophysiologie von vielen immunologisch mediierten autoinflammatorischen Autoimmunerkrankungen, oder auch Immundefekten, besser verstehen und über dieses bessere Verständnis ein besseres Management für Erkrankung entwickeln.
Johanna Stegmann: Wenn die Diagnose feststeht und der genaue Immundefekt bekannt ist. Wie geht es dann weiter?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Wichtige und gute Frage. Das hängt vom Gendefekt ab. Also wenn wir zum Beispiel einen Gendefekt finden, der für einen schweren, kombinierten Immundefekt verantwortlich ist, zum Beispiel Jungen mit Mutationen im Interleukin-2 Rezeptor, die brauchen eine Knochenmarkstransplantation.
Johanna Stegmann: Jungen, bei denen der Interleukin-2 Rezeptor mutiert ist, haben eine Krankheit, die X-gekoppelte schwere kombinierte Immundefizienz heißt, abgekürzt X-SCID. Bei dieser Mutation geht es um einen Teil des Rezeptors, die sogenannte common gamma chain. Diese ist nicht nur für Interleukin-2 zuständig, sondern auch für andere wichtige Rezeptoren im Immunsystem. Zum Beispiel für Interleukin-7, -9 und -15. Forschende haben in den letzten Jahren entdeckt, dass das Fehlen vom Interleukin-7 Signal viel stärker mit dieser Krankheit zusammenhängt, als ursprünglich gedacht. Das führt dazu, dass die T-Zellen, die ja eigentlich den Körper schützen sollten, nicht richtig entwickelt werden.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Wenn man den Patienten nicht Knochenmark transplantiert, das heißt mit einem neuen, gesunden Knochenmark ausstattet, werden die innerhalb des ersten Lebensjahres sterben. Da kann man noch so viel machen, ohne Immunsystem lässt sich nicht überleben. Auf der anderen Seite gibt es Patienten, die haben dann genetische Defekte, wo wir mittlerweile Medikamente haben, genau diesen genetischen Defekt zu ersetzen. Die ADA Defizienz. ADA1 Defizienz. Das ist ein Enzym, das Enzym gibts durch Pharmaindustrie produziert, und das muss der Patient sich dann spritzen. Und mit dieser Enzymersatztherapie kann das Immunsystem gut leben. Und das ist eine personalisierte Therapie. Es gibt viele personalisierte Therapien, wenn man den Geneffekt weiß. Wir können eine APDS-Erkrankung, was eine Immunaktivierungserkrankung ist, also eher Richtung Hyperinflammation geht, hervorgerufen durch ein zu aktives Enzym. Da können wir das Enzym hemmen, durch ein spezifisches Medikament, Leniolisib heißt das. Ein überaktiviertes Immunsystem durch eine Tablette am Tag, wird wieder in Homöostase zurückgeführt, weil das zu aktive Enzym einfach ein bisschen langsamer gemacht wird. Es gibt aber viele Immundefekte, wo wir den monogenetischen Defekt nicht kennen, und da muss man dann so behandeln, mit Antibiotika das Immunsystem schützen, häufig durch Antikörpergabe, also Immunglobulin Infusionen, entweder über die Bauchhaut oder über die Vene, das Immunsystem stützen, um den Patienten dann ein hoffentlich infektfreies Leben und Dasein zu ermöglichen. Die Immundefekte, da muss man dann lebenslang sich substituieren. Die autoinflammatorischen Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, die laufen häufig in Schüben. Und da versucht man das Immunsystem wieder ruhig zu stellen und in Homöostase zu bringen und kann dann auch versuchen, wenn das mal so ein Jahr lang gut gegangen ist, die Medikamente zu reduzieren und zu schauen, wie geht es denn dann ohne. Sie kennen vielleicht die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, die hat ja verschiedene Verlaufsformen, die eine ist rapid progredient, die eine verläuft den Schüben und da reicht dann vielleicht, wenn man die Schübe immer versucht abzublocken. Und es gibt eine stabile Verlaufsform, wo quasi sich über Jahre lang nichts verändert.
Johanna Stegmann: Wie kann ich mir denn eine Knochenmarkstransplantation vorstellen. Wird dabei das Immunsystem komplett auf null gesetzt, also dass man es wieder wie ein Neugeborenes aufbauen muss?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Ja doch so ist das. Der Patient bekommt ja das neue Knochenmark von einem gesunden Spender. Und das sind nicht die Zellen, die schon differenziert sind. Das sind die hämatopoetischen Stammzellen aus dem Knochenmark, die naiv sind, die also sich erst in Lymphozyten und Granulozyten und Makophagen ausbilden müssen. Und dann auch im Knochenmark-transplantierten, neuen Host, sich wieder ein Gedächtnis erwerben müssen. Also nach einer Knochenmarkstransplantation muss man tatsächlich, wie das Kind, erstmal ein paar Infekte durchmachen, bis das neue Immunsystem dann auch das Immungedächtnis sich erarbeitet hat.
Johanna Stegmann: Kann man eigentlich auch ein bereits entwickeltes adaptives Immunsystem transplantieren?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Haben wir mal in identischen Zwillingen versucht, weil, identische Zwillinge haben ja das genetische Material gleich, und sollten den Spender akzeptieren und nicht abstoßen. Haben wir mal versucht, hat nicht geklappt. Da müsste noch viel Forschung gemacht werden, um das zu ermöglichen.
Johanna Stegmann: Eine Knochenmarkstransplantation ist ja sehr aufwendig und birgt auch Risiken.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Der Knochenmarktransplantation muss man ja das eigentliche Knochenmark erstmal ausmerzen, mit Chemotherapie, komplett auf null setzen. Und dieser Phase der Aplasie nennen wir das, also wo keine einzige weiße Blutzelle mehr im Körper ist, haben es natürlich Viren und Bakterien, die schon im Körper sitzen leicht. Die explodieren dann und können zum Tod führen. In dieser Phase, wo kein Immunsystem da ist, in dem transplantierten Patienten. Diese hämatopoetischen Stammzellen des Spenders brauchen halt eine Zeit, bis sie sich entwickeln und bis sie weiße Blutkörperchen in vernünftigen Spiegeln im Blut generieren können, Und da ist natürlich der Vorteil der Gentherapie, dass man Patienten Zellen entnimmt, den genetischen Defekt korrigiert, und diese Zellen wieder zurückgibt. Das hat den Vorteil, dass es des Patienten eigene Zellen sind, das heißt man hat nachher nicht diese Graft vs. Host Reaktion, die man bei der Knochenmarktransplantation hat, weil möglicherweise der Fremde Spender doch nicht ganz so akzeptiert wird mit seinen anderen Oberflächenmarkern auf den weißen Blutkörperchen. Man braucht manchmal dann auch keine Chemotherapie. Da muss man keinen Platz schaffen für die neuen Zellen, sondern die gentherapeutisch korrigierten Zellen werden den Patienten infundiert, und helfen dann von der Infusion an, den Patienten gesund zu halten.
Johanna Stegmann: Wir sind am Ende unseres Gesprächs angelangt und, wie immer, werfen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft. Was denken Sie, Herr Grimbacher, wie wird sich Ihr Forschungsfeld in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Prof. Dr. Bodo Grimbacher: Ich hoffe, dass wir mit unserer Forschung dazu beitragen können, dass vermehrt personalisierte Medizin betrieben werden kann. Weil, ein Mensch ist nicht so wie der andere, und, wie ich ja auch initial schon dargestellt habe, reagieren verschiedene Individuen unterschiedlich auf die Einflüsse, die extern auf uns einprasseln. Und hier Individuen zu identifizieren, zum Beispiel die Schwangeren zu identifizieren, die möglicherweise eine schwere Verlaufsform der Grippe entwickeln, und gezielt zu impfen oder gezielt an die heranzugehen und sagen, du, während deiner Schwangerschaft müsstest du dich eher so und so verhalten. Oder die Menschen zu identifizieren, die aufgrund ihrer genetischen Ausstattung eine hohe Nebenwirkungsrate von dem Medikament X oder Y haben, dass man so eine personalisierte Medizin den Patienten anbietet, und somit die Lebensqualität von der Menschheit verbessern kann. Ich denke, da ist die personalisierte Medizin schon auch auf dem Fortschritt und ist der Weg in die Zukunft.
Johanna Stegmann: Das war der Code des Lebens, ein Podcast vom Deutschen Humangenom-Phänomarchiv. Vielen Dank an unseren heutigen Gast Herr Grimbacher und euch fürs Zuhören. Ich freue mich, wenn ihr das nächste Mal wieder mit dabei seid!