Der Code des Lebens

Der Code des Lebens

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Johanna Stegmann: Wie steht es eigentlich um die Genommedizin in Deutschland? Können wir bald alle unser Genom sequenzieren lassen und wenn ja, bezahlt das eigentlich? Was bringt das der Forschung? Wie sieht es mit Datenschutz und ethischen Fragen aus? Antworten darauf liefert das genomDE-Modellvorhaben, ein bundesweites Vorhaben, das die Genommedizin in Deutschland voranbringen will. Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge vom Code des Lebens. Ich bin Johanna Stegmann und spreche jeden Monat mit spannenden Gästen aus der Welt der Genomforschung. Heute ist Dr. Dr. Andreas Till vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, bei mir zu Gast. Er nimmt uns mit hinter die Kulissen des Modellvorhabens und erklärt, wie Genommedizin Schritt für Schritt Teil unseres Gesundheitssystem werden könnte. Bevor wir ins Thema starten, erst mal herzlich willkommen, Herr Till. Schön, dass Sie da sind. Möchten Sie sich kurz vorstellen, also wer sind Sie, was ist Ihr akademischer Hintergrund und was machen Sie beim BfArM?

Dr. Andreas Till: Ich bedanke mich auch ganz herzlich für die Einladung. Ich habe in Mainz und Kiel Biologie studiert, danach an der Uni Kiel in molekularer Zellbiologie promoviert und anschließend mehrere Jahre in Deutschland und auch ein paar Jahre in San Diego in den USA im Bereich Biomedizin geforscht. Dabei habe ich mehrere Forschungsgruppen geleitet und akademische Forschungsprojekte betreut, unter anderem zu den Themen Entzündung, Krebs und Neurodegenerationen. Habilitiert habe ich im Fach molekulare Biomedizin an der Uni Bonn und seit April 24 arbeite ich im BfArM in Bonn. Hier in der Forschungsabteilung des BfArM bin ich fachlicher Leiter der Datenplattform für das Modellvorhaben Genomsequenzierung. Das heißt ich leite ein Team, welches mit dem Aufbau, dem Betrieb und der Kontrolle einer bundesweiten Datenplattform für klinische- und Genomdaten von Patientinnen und Patienten betraut ist.

Johanna Stegmann: Lassen Sie uns direkt einsteigen und zwar mit dem genom.DE Modellvorhaben. Das ist im fünften Sozialgesetzbuch verankert, wer es ganz genau wissen möchte, in Paragraph 64 e. Dort steht, dass es um umfassende Diagnostik und Therapiefindungen mithilfe von Genomsequenzierung geht, bei Seltenen und onkologischen Erkrankungen. Herr Till, was genau ist das Ziel dieses Modellvorhabens?

Dr. Andreas Till: Das Hauptziel des genom.DE Modellvorhabens ist es, für Patienten und Patientinnen zukünftig den Zugang zu genommedizinischer Expertise für ihre eigene Versorgung zu schaffen.

Johanna Stegmann: Sie haben gerade eben den Begriff genommedizinische Expertise erwähnt. Können Sie erklären, was man genau unter Genommedizin versteht?

Dr. Andreas Till: Genommedizin an sich ist ein relativ neues Konzept in der Medizin. Dabei werden Informationen über die genomische Sequenz der Patientinnen und Patienten klinisch genutzt, zum Beispiel für schnellere und präzisere Diagnosen oder für zielgerichtete, personalisierte Therapien.

Johanna Stegmann: Sie haben gerade die genomische Sequenz angesprochen. Es gibt verschiedene Methoden der Sequenzierung. Können Sie uns einen Überblick geben: Welche Hauptarten gibt es und worin unterscheiden Sie sich?

Dr. Andreas Till: Wichtig ist, dabei klarzumachen, dass in diesem Zusammenhang das Wort Genomsequenzierung einen Oberbegriff darstellt. Man unterscheidet hierbei verschiedene Formen. Zum Beispiel die Sequenzierung von sogenannten Genpanels. Das sind ausgewählte Gene, die mit den jeweiligen Krankheitsformen in Verbindung stehen, also durch Vorabdaten, die man hatte. Dann unterscheidet man die Exomsequenzierung, bei der werden alle für Proteine codierende Bereiche der DNA die Exome analysiert. Und dann gibt es eben die Ganzgenomsequenzierung, Whole-Genome-Sequencing. Dabei wird die genaue Abfolge von allen drei Milliarden Basen der DNA einer Person insgesamt bestimmt. Also auch die von regulatorischen Bereichen, in denen sind ja die relevanten Informationen zum Beispiel für die Regulation von Genexpressionen enthalten und sogar von Regionen des Genoms, deren Funktionen man bis heute noch gar nicht kennt. Die Tiefe der Information, die man herauszieht, ist wiederum maßgeblich für den Nutzen, den so eine Information für den Patienten in dem jeweiligen Fall haben kann.

Johanna Stegmann: Es gibt verschiedene Methoden, um unser Erbgut zu entschlüsseln, je nachdem, wie umfassend wir in die DNA schauen möchten. Drei wichtige Methoden sind hier Genpanels, die Exomsequenzierung und die Ganzgenomsequenzierung. Bei Genpanels betrachten wir gezielt eine Auswahl an Genen, die mit einer bestimmten Krankheit oder Fragestellungen in Verbindung stehen. Das ist besonders hilfreich, wenn bereits bekannt ist, dass eine Erkrankung durch Veränderungen in wenigen spezifischen Genen verursacht wird. Dann schaut man sich genau diese Gene an. Die Exomsequenzierung geht ein Schritt weiter. Hier werden gezielt die Abschnitte des Erbguts analysiert, die für Proteine codieren, das sogenannte Exom. Das Exom macht zwar nur ein bis zwei Prozent unseres gesamten Erbguts aus, doch genau da treten die meisten krankheitsrelevanten Veränderungen auf. In der Regel werden dabei ausschließlich die codierenden Bereiche der Gene untersucht, also die Exome. Die nicht codierenden Abschnitte wie Introns werden nicht erfasst. Und dann gibt es noch die Ganzgenomsequenzierung. Hier wird, wie der Name schon sagt, das gesamte Erbgut analysiert, also auch die Bereiche außerhalb der Exome. Dazu gehören unter anderem regulatorische Regionen, die auch eine wichtige Rolle spielen können, zum Beispiel bei der Steuerung der Genaktivität. Diese Methode liefert aktuell die umfassendsten Informationen, ist aber auch aufwendiger und teurer. Welche Methode gewählt wird, hängt also vor allem davon ab, welche Frage beantwortet werden soll.

Dr. Andreas Till: Diese Innovation könnte zukünftig bedeuten, dass wir Erkrankungen und ihre Verläufe besser verstehen und dass dadurch Patientinnen und Patienten, also im Krankheitsfall uns allen, schneller und besser geholfen werden kann.

Johanna Stegmann: Das heißt, man könnte mit einer Ganzgenomsequenzierung deutlich mehr Krankheiten erforschen bzw. auch Diagnosen stellen als mit einer Exomsequenzierung?

Dr. Andreas Till: Ganz genau, besonders im Fall von seltenen chronischen Erkrankungen, bei denen eine genomische Grundlage vermutet wird. Es ist ganz wichtig, sich auch die Region des Genoms anzugucken, die man sich davor noch nicht angeschaut hat. Das heißt, wenn man einen Verdacht hat, das eine bestimmte genetische Apparition vorliegt, zum Beispiel in einem Genlokus und schaut sich nur dieses eine Gen an, dann könnte man dabei andere Regionen verpassen, die eine wichtige Information enthalten. Und durch diese Ganzgenomsequenzierung, gerade bei seltenen, also dadurch natürlich auch schlecht erforschten, genetisch bedingten Erkrankungen, da hat die Ganzgenomsequenzierung einen unglaublich großen diagnostischen Vorteil.

Johanna Stegmann: Durch Sequenzierung können sich also Vorteile ergeben, zum Beispiel personalisierte Medizin, bessere und schnellere Diagnosen. Gibt es weitere Aspekte in der Genommedizin, die für Patient*innen und vielleicht sogar die gesamte Gesellschaft relevant sein können?

Dr. Andreas Till: Ja, ganz genau, wie Sie gemeint haben, wir erhoffen uns einerseits natürlich schnellere und genaue Diagnosen, zum anderen aber personalisierte und zielgerichtete Therapien, indem man genau diejenigen Zielstrukturen, also zum Beispiel die mutierten oder durch Varianten versehenen Proteine, als Angriffspunkt von Therapien nutzt. Zukünftig wird dies sicherlich auch individualisierte Ansätze wie zielgerichtete Gentherapien umfassen.

Johanna Stegmann: Nehmen wir an, jemand hat den Verdacht auf eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung. Wie ist die Genommedizin in Deutschland aktuell organisiert und wie sieht der Weg bis zur genetischen Diagnostik in der Praxis aus?

Dr. Andreas Till: Die Anwendung von Gendiagnostik ist seit ungefähr 2010 gesetzlich geregelt und ist inzwischen auch für die Verschreibung vieler in Deutschland zugelassener Medikamente vorgeschrieben. Dafür und auch für die Diagnosezwecke werden ganz bestimmte ausgewählte Genomabschnitte untersucht. Die Genommedizin ist aber bisher aufgrund der Komplexität sowie der enormen riesigen anfallenden Datenmengen und der hohen Kosten nicht Teil der Regelversorgung in Deutschland.

Johanna Stegmann: Herr Till, da muss ich kurz nachhaken, was ist die Regelversorgung?

Dr. Andreas Till: Die Regelversorgung ist die Versorgung, die von den Krankenkassen derzeit im Regelfall übernommen wird. Bei diagnostischen Zwecken zu bestimmten Erkrankungen ist das vorgesehen, aber das gesamte Spektrum der Möglichkeiten, die die Genommedizin regelt, das ist eben noch nicht Teil der Regelversorgung im deutschen Gesundheitssystem.

Johanna Stegmann: Warum reicht denn der derzeitige Status quo nicht aus, um das volle Potenzial der Genommedizin auszuschöpfen?

Dr. Andreas Till: Ich sehe das inzwischen gar nicht mehr allzu kritisch, denn man muss sagen, dass wir in den letzten Jahren, also wir als Gesellschaft und wir hier in Deutschland, einige große Schritte vorangekommen sind auf dem Weg. Der aktuelle Stand erschwert aber noch immer einen effektiven, routinemäßigen Einsatz der Genomsequenzierung für Versorgung und Forschung. Außerdem steht die Untersuchung zum Nachweis der Zweckmäßigkeit der Genomsequenzierung in all ihren Schattierungen, darüber hatten wir schon gesprochen, also Genpanels, Exomsequenzierung, Ganzgenomsequenzierung, für die Routineversorgung in Deutschland noch aus. Das heißt, diesen Nachweis müssen wir noch bringen, in welchen Fällen eine Zweckmäßigkeit überhaupt greift und welchen Gruppen von Patienten unter welchen Bedingungen wirklich geholfen werden kann. Für diese Überführung der Genommedizin in die Regelversorgung benötigen wir genau diesen Nachweis und das ist gerade der Ansatzpunkt für das Modellvorhaben, mit dem Ziel, das volle Potenzial der Genommedizin zukünftig ausschöpfen zu können. Dank dieser neuen Methoden, die wir gerade austesten sowie durch den Einsatz von KI in der Zukunft soll es künftig möglich sein, das gesamte Genom einer Patientin oder eines Patienten zuverlässig und vor allem auch kostengünstig zu sequenzieren und auch zu analysieren. Das eröffnet dann die Möglichkeit einer personalisierten Therapie und viel besserer Versorgung sowie weiteren Innovationen in dem Bereich, sofern eine entsprechende Dateninfrastruktur in Deutschland dafür zur Verfügung steht. Und genau das zu etablieren, also diesen Aufbau einer Dateninfrastruktur für Genomdaten und klinische Daten, das zu etablieren und zu testen, das ist eines der Hauptziele in unserem Modellvorhaben Genomsequenzierung.

Johanna Stegmann: Lassen Sie uns einen Blick auf die konkreten Eckdaten werfen. Wie lange läuft das Modellvorhaben? Wie viele Genome sollen insgesamt sequenziert werden und was sind die wichtigsten Schritte oder Abläufe dabei?

Dr. Andreas Till: Über die Projektlaufzeit, die dauert fünf Jahre, wollen wir weit über 50.000 Patientinnen und Patienten einschließen und ihre Genomdaten für ihre eigene Diagnose und Therapie nutzen. Ende März waren schon rund 2.000 Patientinnen und Patienten dabei. Bis Ende 2025 rechnet man mit etwa 10.000. Dabei erfolgt im Rahmen des Modellvorhabens auch eine Evaluation, also eine systematische Untersuchung, welche Methoden bei welcher Fallkonstellation hilfreich sind. Dies soll unter anderem dazu beitragen, die Prozesse, die beteiligt sind, zu optimieren, auch Limitationen zu erkennen, also wo kann man noch Verbesserungen einführen und auch eine Harmonisierung der Datenpakete, der Datenformate und der Abläufe zu erreichen. Zusätzlich gibt es aber noch ein anderes Hauptziel, und zwar sollen die Daten, natürlich in pseudonymisierter Form, also ohne Klarnamen der Patienten, für Fragestellungen aus der Forschung zugänglich gemacht werden, wenn der Patient oder die Patientin diesem Zweck zustimmt.

Johanna Stegmann: Wir haben gerade darüber geredet, wer vor allem die Zielgruppe des Modellvorhabens ist: Menschen mit seltenen Erkrankungen und Menschen mit onkologischen Erkrankungen. Wie werden die denn identifiziert, dass sie eben am Modellvorhaben teilhaben dürfen?

Dr. Andreas Till: Ganz genau, Sie haben es ja gerade schon erwähnt, unser Modellvorhaben beginnt jetzt in dieser Pilotphase mit seltenen chronischen genetisch bedingten Erkrankungen und mit onkologischen Erkrankungen. Es gibt ganz genaue gesetzliche Vorgaben zum Einschluss der Patienten. Diese Kriterien werden im Rahmen von multidisziplinären Fallkonferenzen oder einem molekularen Tumorboard beurteilt. Danach wird entschieden, ob für den jeweiligen Fall ein Einschluss in das Modellvorhaben und die Durchführung einer Sequenzierung notwendig und auch zielführend ist. Diese Kriterien enthalten zum Teil auch die Fragestellungen inwieweit zum Beispiel in den letzten Jahren eine DNA-Sequenzierung durchgeführt wurde. Dieser Einschluss erfolgt dann nach einer intensiven Aufklärung durch eines der inzwischen 27 zugelassenen Universitätskliniken, das sind die Leistungserbringer in diesem Modellvorhaben, nachdem eben diese Kriterien geprüft worden sind und der Patient und die Patientin aufgeklärt und befragt worden sind zu ihren Wünschen über den Einschluss ins Vorhaben.

Johanna Stegmann: Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die Partner des genom.DE Modellvorhabens werfen. Wer ist alles daran beteiligt?

Dr. Andreas Till: Das ist eine sehr komplexe und umfassende Fragestellung. Das Modellvorhaben stellt im Umfang ein fast einmaliges Vorhaben im deutschen Gesundheitssystem dar. Beteiligt ist daher auch ein riesiges, ich möchte sagen, ein Netzwerk aus Akteuren, aktuell fast 30 Universitätskliniken, die die Leistungserbringer darstellen, wo die Daten erhoben werden, mehrere klinische Netzwerke, die spezialisiert sind auf bestimmte Erkrankungsentitäten, mehrere Universitäten, die als Betreiber von Genom-Rechenzentren infrage kommen, aber auch Bundesoberbehörden wie wir am BfArM und auch das Robert Koch-Institut, die gesetzlichen und inzwischen auch die privaten Krankenkassen, Patientenvertretung und natürlich auch GHGA als unser Weg, die Daten in einem internationalen Kontext nutzen zu können.

Johanna Stegmann: Inzwischen sind übrigens nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen mit an Bord, sondern auch alle privaten Kassen und die Beihilfen. Die sogenannten Datenknoten, also die technischen Schnittstellen zur Datenverarbeitung, stehen kurz vor dem Start. Gerade werden noch die letzten Verträge unterzeichnet und die Technik vorbereitet. Wenn alles klappt, gehen sie im Sommer in den Produktivbetrieb und können dann wirklich Daten annehmen.

Dr. Andreas Till: Das BfArM hat hier eine besondere Rolle. Wir agieren als Träger der Datenplattform und sind für den Aufbau, Betrieb und Kontrolle dieser Datenstruktur, die sich gerade im Entstehen befindet, verantwortlich. Daher müssen wir auch mit allen Akteuren ständig im Austausch stehen und die Prozesse koordinieren, was bei über 500 schätzungsweise beteiligten Personen natürlich eine nicht ganz einfache Aufgabe darstellt.

Johanna Stegmann: Das BfArM ist also dafür verantwortlich, dass es auf Antrag bestimmte Daten bereitstellt.

Dr. Andreas Till: Ganz genau. Die Nutzung der Daten ist zweckgebunden, das heißt, per Gesetz ist ganz genau definiert, zu welchen Zwecken die Daten genutzt werden können. Darunter fällt natürlich die Versorgung, aber auch Forschungsfragestellung. Die Zweckgebundenheit dieser Fragestellungen wird über eine Antragstellung an uns geprüft. Das heißt, wir bauen im Laufe der nächsten Wochen und Monate ein Antragsportal auf, wo sich an den Daten Interessierte und Berechtigte bewerben können, mit einem Antrag die Daten in pseudonymisierter Form zu nutzen. Und wir prüfen dann diese Anträge und würden die Daten bzw. die Ergebnisse aus den Analysen den Datennutzern danach zur Verfügung stellen.

Johanna Stegmann: Wer sind denn beispielsweise die Nutzungsberechtigten?

Dr. Andreas Till: Nutzungsberechtigte sind alle rechtlichen und realen Personen im Wirkungsbereich der DSGVO. Das heißt, das können Unternehmen sein, es können Forschungsinstitutionen, aber auch einzelne Personen sein. Wie gesagt, die Nutzung der Daten ist zweckgebunden und nicht an die einzelne Person. Diese Zwecknutzung wird von uns geprüft.

Johanna Stegmann: Also es wird von Fall zu Fall einzeln geprüft und entschieden, ob eine zweckmäßige Nutzung vorhanden ist, die auch gerechtfertigt ist oder eben nicht?

Dr. Andreas Till: Ganz genau. Für jeden Datennutzungsantrag wird diese Prüfung durchgeführt. Dafür gibt es auch ein unabhängiges Gremium, was uns bei diesen Entscheidungen hilft. Und dann wird den jeweiligen Antragstellen die Antwort zukommen gelassen und die nächsten Wege eingeleitet, um die Daten in einer sicheren Arbeitsumgebung auszuwerten und die Ergebnisse den Antragstellern zur Verfügung zu stellen.

Johanna Stegmann: Angenommen, mein Antrag wird genehmigt. Was passiert dann? Kann ich mir die entsprechenden Daten einfach herunterladen und lokal auf meinem Rechner speichern? Oder läuft das Ganze zum Beispiel über ein zentrales Portal, in dem ich die Daten einsehen, aber nicht herunterladen kann?

Dr. Andreas Till: Im allgemeinen Fall ist die zur Verfügungstellung von einzelnen Datensätzen, also von Rohdatensätzen, nicht vorgesehen, sondern die Analyse von Daten in einem beschränkten Arbeitsumfeld, aus dem diese Daten nicht zugänglich gemacht werden können. Das heißt, wie wir es uns zurzeit vorstellen, werden die Fragestellungen der Datennutzer an uns herangetragen, wir kümmern uns dann um das Einrichten von sogenannten Datendiensten, das sind kleine Codes, kleine Programme, die bestimmte Fragestellungen beantworten können. Diese Datendienste sammeln sich in der Datenplattform die Daten, die zur Beantwortung der Frage notwendig sind, zusammen und würden das Ergebnis dann dem Datennutzer zur Verfügung stellen. Nur in einzelnen Fällen, das sind eher Fragestellungen, die zum Beispiel auch die klinische Versorgung von Patienten angehen, würde in einem Sonderantrag ein einzelner Datensatz zur Verfügung gestellt werden können.

Johanna Stegmann: Bei 50.000 Genomsequenzierungen kommt ja ganz schön was zusammen. Was kostet so eine Sequenzierung pro Person aktuell?

Dr. Andreas Till: Da muss man ein bisschen differenzieren zwischen den einzelnen Phasen dieses Prozesses. Die reine technische Umsetzung, das heißt die DNA-Isolierung und die technische Seite der Genomsequenzierung ist inzwischen bei den heute vorherrschenden Technologien für ungefähr 1000 Dollar oder vielleicht sogar schon darunter zu bekommen. Die Leistung, die hier aber gebracht wird, umfasst ja nicht nur die reine technische Seite, das heißt die Genomsequenzierung selbst, sondern auch den Einschluss und die Aufklärung der Patienten, die Vorabinformation, die molekularen Tumorboards und Fallkonferenzen, die die Beratung durchführen und auch die Entscheidung und Interpretation der Daten, inwieweit dadurch Diagnostik oder auch Therapie beeinflusst werden. Das heißt insgesamt hat man ein Gesamtpaket, was weit über die reine technische Seite hinausgeht. Deshalb wird auch die Leistung für die Unikliniken die daran teilnehmen, oberhalb dieser rein technischen Seite für das Gesamtpaket, der Diagnosestellung und der möglichen Therapieempfehlung entlohnt.

Johanna Stegmann: Wie wird das Modellvorhaben eigentlich finanziert? Also, wer trägt die Kosten?

Dr. Andreas Till: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Dabei ist zu sagen, dass ein Teil der Infrastruktur für das Modellvorhaben schon eine ganze Weile existiert, also auch vor 2024 schon bereitstand, zum Beispiel in Form von klinischen Netzwerken und von universitären Rechenzentren, die es davor ja auch schon gab. Und eine Idee im Modellvorhaben ist, tatsächlich auch die bereits existierenden Strukturen zu nutzen, also nicht bei null anzufangen und eine komplett neue Struktur übers gesamte Bundesgebiet aufzubauen, sondern vorhandene Netzwerke, Informationsstränge, Kommunikationskanäle und Prozesse zu nutzen und die zu integrieren und zu orchestrieren. Bei diesem Aufbau von neuen Strukturen wie zum Beispiel hier am BfArM oder beim Robert Koch-Institut - das Robert Koch-Institut nimmt die sehr wichtige Rolle der zentralen Vertrauensstelle innerhalb des Modellvorhabens ein - oder auch bei den Datenknoten, wo die Daten eingehen, daran ist das Bundesministerium für Gesundheit maßgeblich beteiligt, über eine Finanzierung seit 2024 und darüberhinausgehend. Und auf der anderen Seite die Leistung der Genomsequenzierung selbst und der Diagnostik und Therapiefindung, Beratung und so weiter, auch die Interpretation der Ergebnisse, die wird wiederum durch die Kostenträger im Gesundheitswesen garantiert, also durch die Krankenkassen und die sind mit einem hohen Millionenbetrag beteiligt und werden über die nächsten Jahre einiges investieren, natürlich auch mit dem Interesse, dass es zu einer verbesserten, schnelleren und genaueren Diagnose für die Patienten kommt und auch zu einer besseren Therapie im besten Fall.

Johanna Stegmann: Ich habe gelesen, dass im Modellvorhaben zwischen Genomdaten und klinischen Daten unterschieden wird. Zu den Genomdaten gehören die Rohdaten der Sequenzierung und die werden in den Genom-Rechenzentren gespeichert, die sind in ganz Deutschland verteilt. Die klinischen Daten, also zum Beispiel demografische Informationen, die Diagnose, Vorbefunde, der Phänotyp werden in klinischen Datenknoten gespeichert und befinden sich auch verstreut in Deutschland. Wenn ich nun einen Antrag stelle, erhalte ich den Zugriff auf beide Datentypen, also sowohl Genomdaten als auch klinische Daten?

Dr. Andreas Till: Das hängt tatsächlich ganz von dem Antragsformat und dem Antragstyp ab. Wenn es eine Fragestellung erfordert, dass die klinischen Daten zum Beispiel in irgendeiner Weise verlinkt werden müssen zu den Genomdaten, also um Fragestellungen zum Beispiel zum Therapieverlauf oder zum Ansprechen auf eine Therapie oder auf bestimmte Verläufe zu bekommen, dann kann dies ermöglicht werden. Das ist ein komplexer Prozess, weil die klinischen Daten in anderen Datenknoten liegen als die genomischen Daten. Das ist eine der wichtigsten Sicherheitsaspekte dieses Vorhabens. Die Daten selbst werden also dezentral in verschiedenen Datenknoten gelagert. Für die Beantwortung von solchen Fragestellungen würden dann aber die Daten über ihre Pseudonyme untereinander verlinkt werden, die also nicht zur Identifizierung der Patienten beitragen können. Und diese Fragestellungen können dann aber trotzdem im Umfeld dieser sicheren Arbeitsumgebung beantwortet werden, wenn es die jeweilige Fragestellung vorsieht.

Johanna Stegmann: Damit die Daten zu Forschungszwecken genutzt werden dürfen, müssen die Patientinnen und Patienten eine Einwilligungserklärung unterzeichnen. Die gibt es übrigens mittlerweile in fünf verschiedenen Sprachen. Kann ich meine Einwilligung zur Nutzung meiner Daten für die Forschung eigentlich auch später noch zurückziehen?

Dr. Andreas Till: Ganz genau, das ist auch eine der wichtigen Aspekte. Der Patient und die Patientin haben jederzeit die Möglichkeit, ihre Einwilligung auf Nutzung der Daten, also bei Beginn, beim Einschluss ins Vorhaben, aber auch zur späteren Zeitpunkten zu widerrufen und die Nutzung der Daten zu untersagen.

Johanna Stegmann: Wenn ich meine Genomdaten gespendet habe, dann könnte es mich ja auch interessieren, welche Forschungsprojekte mit meinen Daten realisiert werden konnten. Gibt es eine Möglichkeit, darüber Auskunft zu bekommen und auch zu erfahren, wie mein Beitrag zur Forschung anderen Patientinnen und Patienten helfen kann?

Dr. Andreas Till: Aus organisatorischer Sicht ist es sehr schwierig, die Nutzung eines einzelnen Datensatzes zu einem Projekt zuzuweisen. Das ist unter anderem deshalb nicht so einfach, weil die Daten innerhalb der Datenplattformen ja nicht mehr mit den Klarnamen der Patienten, sondern als Pseudonym vorliegen. Das heißt, eine Rückführung, welcher individuelle Datensatz für welches Vorhaben genutzt werden kann, ist eine unwahrscheinlich große technische Hürde. Was wir aber machen werden, ist eine Bereitstellung von Informationen, welche Forschungsprojekte oder welche Fragestellungen überhaupt mit dem Gesamtdatensatz beantwortet wurden oder auch welche Anträge gestellt werden, sodass die Beteiligten, die Patienten und Patientinnen, Einblick darüber bekommen, welche Fragestellungen insgesamt von welchen Antragsstellern bearbeitet werden.

Johanna Stegmann: Herr Till, was habe ich eigentlich persönlich davon, mein Genom sequenzieren zu lassen und warum ist es auch so wichtig, dass Daten geteilt werden?

Dr. Andreas Till: Für den Patienten selbst steht natürlich erstmal im Vordergrund, dass ihm oder ihr geholfen wird durch die Genomsequenzierung, also schnellere Diagnosen, verbesserte Therapien. Aber wenn man darüber hinausdenkt, soll es natürlich auch darum geben, dass jeder Einzelne der Gesellschaft helfen kann durch seine Daten. Das könnte zum Beispiel passieren, indem wir durch Ansammeln von Daten besserer Erkenntnisse über die Grundlagen von Erkrankungen bekommen oder auch über die Wirkungsweise von Medikamenten. Das heißt, jeder Einzelne kann dazu beitragen, dass den Patienten, die danach in der gleichen Diagnose konfrontiert werden, schneller und besser geholfen werden kann. Und das ist glaube ich fast schon so einen Gesellschaftsvertrag, dass wir unsere eigenen Daten zum Allgemeinwohl bereitstellen in einer datenschutzrechtlich sicheren Umgebung und damit dann auch anderen Patienten und Patienten helfen können.

Johanna Stegmann: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto bessere Erkenntnisse können in der Forschung gewonnen werden, zum Beispiel über Krankheitsverläufe. Und natürlich kann so auch mehr Betroffenen geholfen werden. Deshalb würde es ja Sinn machen, sich international zu vernetzen und so einen größeren Datenpool aufzubauen. Gibt es im Modellvorhaben den Plan, sich auch international zu vernetzen?

Dr. Andreas Till: Da haben Sie ganz recht, natürlich ist es so, gerade bei den seltenen genetischen Erkrankungen oder auch bei genomischen Varianten, die extrem selten vorkommen, bedeutet viel natürlich auch ein höheres Maß an Sicherheit und statistischer Absicherung. Das heißt, je mehr Daten wir generieren und je mehr wir analysieren und einbeziehen können, desto bessere Erkenntnisse können wir daraus ziehen. Deshalb ist eines der ganz großen mittelfristigen Ziele des Modellvorhabens natürlich auch die internationale Anbindung. Hier sind für uns besonders europäische Initiativen, 1+ Million Genomes oder der europäische Gesundheitsdatenraum European Health Data Space, EHDS, wichtig. Ein ganz wichtiger Schritt in diese Richtung war, dass der EU-Rat, ich glaube am 21. Januar diesen Jahres 2025 für ein Gesetz zum European Health Data Space gestimmt hat. Die Verabschiedung dieser entsprechenden Verordnung wird zukünftig eine grenzüberschreitende Nutzung und auch Weiterverwendung von Gesundheitsdaten innerhalb der EU ermöglichen. Genau an dieser Stelle wollen wir auch mitarbeiten und deshalb ist ein ganz wichtiger Partner für uns in Modellvorhaben GHGA, da hierdurch die Anbindung der Genom-Datenbanken an europäische Strukturen auch in Zukunft maßgeblich erleichtert werden kann.

Johanna Stegmann: Es gibt die DSGVO, die auch europaweit gilt. Trotzdem ist die Auslegung von Land zu Land ein bisschen unterschiedlich und wenn ich richtig informiert bin, hat Deutschland ja eines der strengeren Regeln. Wie kann man denn sicherstellen, dass die anderen Länder mit den Daten genauso sorgsam umgehen oder nach den Regeln, die Deutschland definiert hat?

Dr. Andreas Till: Also diese internationale Abstimmung ist wirklich eine der ganz großen Herausforderungen, möchte ich mal sagen, auch für zukünftige Nutzungen, eben weil die nationalen Rechtsgrundlagen unterschiedlich sind und wir eine Harmonisierung brauchen. Wir sind natürlich mit den entsprechenden Gremien im Austausch und arbeiten aktiv an diesen Beschreibungen mit, aber es natürlich ein Prozess, der sehr langfristig sein wird und der am Ende so gut orchestriert sein muss, dass alle Mitgliedsstaaten, die beteiligt sind an diesen Institutionen, die gleichen Voraussetzungen erfüllen können und auch erfüllen wollen.

Johanna Stegmann: Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, was das Modellvorhaben alles umfasst, also wer beteiligt ist, wie es finanziert wird, welche Methoden genutzt werden und welches große Ziel dahintersteckt. Lassen Sie uns das an einem konkreten Beispiel durchsprechen. Eine Person Mitte 30 hat den Verdacht auf eine genetisch bedingte Tumorerkrankung. Was passiert dann, welche Schritte sind nötig, damit sie in das Modellvorhaben aufgenommen wird?

Dr. Andreas Till: Das ist in der Tat ein mehrstufiger und recht komplexer, aber inzwischen an den Standorten ein sehr gut eingespielter Prozess. Ein Patient oder eine Patientin mit Verdacht auf eine genetisch bedingte Tumorerkrankung würde von dem jeweils betreuenden Arzt oder der Ärztin an eines der beteiligten Zentren eines Uniklinikums überwiesen werden, also ein onkologisches Zentrum an einem der beteiligten Unikliniken. Dort erfolgt dann die Aufklärung bezüglich des Modellvorhabens, also was genau sind die Ziele, wie wir das umgesetzt, aber es erfolgt auch eine Aufklärung nach Gendiagnostik-Gesetz, sofern es sich um eine vererbbare Veränderung handeln könnte, denn in diesem Fall wären ja auch Familienangehörige eventuell von der Information betroffen. In Sitzung eines molekularen Tumorboards werden dann die Beitrittskriterien, über die wir schon gesprochen hatten, geprüft, also inwieweit erfüllt der Patient, die Patientin, die Kriterien, die zum Einschluss ins Modellvorhaben notwendig sind und es wird gegebenenfalls eine Empfehlung zum Einschluss ausgesprochen durch das molekulare Tumorboard. Nach einer schriftlichen Einwilligung des Patienten, der Patientin, in die Teilnahme wird die zu dem Fall passende Form der Genomsequenzierung, also Genpanel, kleine Anzahl von Genen, das Exom oder eine Ganzgenomsequenzierung, anhand von Blut oder von Tumorgewebe durchgeführt. Die Informationen aus der bioinformatischen Analyse und der klinischen Interpretation dieser Daten wird dann mit den Patienten und der Patientin geteilt und mit den Betroffenen oder auch den Erziehungsberechtigten das weitere Vorgehen besprochen. Dies kann den Einsatz einer spezifischen Therapie, zum Beispiel eines bestimmten Wirkstoffs basierend auf den Genominformationen bedeuten. Die Abrechnung der Klinik, also der Leistungserbringer, mit der Krankenkasse der betroffenen Person erfolgt dann nach Ablieferung der festgelegten Datenpakete in die Datenplattform.

Johanna Stegmann: Wie sieht es denn mit der Entwicklung einer Therapie aus? Wenn man die entsprechenden Gene gefunden hat, die für die Erkrankung verantwortlich sind, heißt es ja leider noch nicht, dass es auch schon eine passende Behandlung gibt. Deshalb meine Frage: Ist es auch Teil des Modellvorhabens zu untersuchen, welche Therapie helfen könnte?

Dr. Andreas Till: Eines der Ziele des Modellvorhabens ist tatsächlich eine optimierte individuelle Therapie vorschlagen zu können, basierend auf den Genominformationen. Allerdings ist die Durchführung der Therapie, also der Einsatz eines neuen Wirkstoffs zum Beispiel eines Off-Label-Uses von bestimmten Medikamenten, nicht formell Teil des Modellvorhabens. Das muss im Nachgang nach dieser Beratung individuell mit den Kostenträgern ausgehandelt und verhandelt werden.

Johanna Stegmann: Gerade wenn es darum geht, Medikamente außerhalb ihrer Zulassungen, also Off-Label einzusetzen, sind die Kosten ja wahrscheinlich sehr unterschiedlich, je nach Erkrankung.

Dr. Andreas Till: Ganz genau, die Kosten für die Therapien sind sehr unterschiedlich, je nachdem, was für eine Strategie hier genutzt wird. Zukünftig erhoffen wir uns natürlich auch durch den Einsatz dieser Technologien eine Verbesserung und einen einfachen Zugang zu Möglichkeiten, zum Beispiel Gentherapien oder Stammzelltherapien. Also eine Ausweitung von Therapieformen, was heutzutage noch Einzelfallentscheidungen sind, die sehr aufwendig zu generieren sind. Wir erhoffen uns aber, dass man mit der Genominformation zum Beispiel ganz einfach entscheiden kann, dass ein bestimmtes Medikament für diesen Fall sinnvoll erscheint und hier für den Patienten oder die Patientin eingesetzt werden kann.

Johanna Stegmann: Werden solche Infos in den Datensatz mit aufgenommen? Ich stelle es mir total wichtig vor, diese Infos weiterzugeben, welche Therapieform angewandt wurde und ob Erfolge erzielt wurden.

Dr. Andreas Till: Ganz wichtig, der Therapieerfolg oder das Follow-up, also die Verlaufsabbildungen für den jeweiligen Patienten, ist auch Teil des Modellvorhabens. Natürlich wollen wir wissen, inwieweit die gewonnenen Informationen zu einer Verbesserung des Befindens der Patienten geführt hat. Deshalb beinhaltet die Datenaufnahme auch eine Verlaufsaufnahme in gewissen Abständen, dass die Patienten überprüft werden können, inwieweit zum Beispiel eine neu vorgeschlagene Therapie überhaupt einerseits umgesetzt wurde und andererseits inwieweit diese Therapie tatsächlich auch den Patienten zum Vorteil gereicht hat.

Johanna Stegmann: Ich würde gerne noch einen anderen Aspekt mit Ihnen besprechen. Wie sehen Sie das denn? Gibt es ethische oder auch soziale Herausforderungen, wenn es um die Akzeptanz der Genommedizin in der deutschen Bevölkerung geht?

Dr. Andreas Till: Das ist tatsächlich ein wichtiges Thema. Bei der Konzeption und bei der Vorbereitung fürs Modellvorhaben sind Bioethiker miteingeschlossen worden und die Bioethik, die moralischen Aspekte und auch die gesellschaftlichen Fragestellungen sind mitgedacht worden. Ich denke, dass es tatsächlich ein wichtiger Punkt sein wird, genug Aufklärung zu betreiben, um auch die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Fragestellung zu sensibilisieren oder die Akzeptanz zu erhöhen. Bei uns ist es ja noch immer so, sobald man das Wort Gen, Genom, auch Daten in den Mund nimmt, dass das zum Teil zumindest zur Zurückhaltung oder Vorsicht sorgt. Wir erfüllen allerdings bei dieser Datengenerierung ganz strenge Kriterien und Datenschutz ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt bei diesem Modellvorhaben und ich glaube, das müssen wir auch kommunizieren und auch vielleicht gesellschaftlich da vorangehen und die Sensibilität einfach auch erhöhen und bewusst sein, dass Aufklärung notwendig ist und dass diese Aspekte auf jeden Fall zukünftig mitgedacht werden.

Johanna Stegmann: Was würden Sie denn sagen? Warum ist das Modellvorhaben so wichtig für Deutschland und wie könnte es auch langfristig die Gesundheitsversorgung beeinflussen?

Dr. Andreas Till: Zum einen ist es natürlich so, dass wir damit eine Technologie stärken wollen, eine technologische Innovation vorantreiben wollen und die Möglichkeit schaffen wollen, dies jedem Patienten, jeder Patientin in Deutschland zugänglich zu machen. Zum anderen hat es eine politische Dimension, weil wir uns dadurch auch international präsentieren wollen, unseren Forschungsstandort und den Wissenschaftsstandort Deutschland stärken wollen. Zum anderen ist es natürlich so, dass auch industrielle Herausforderungen oder Fragestellungen den Einsatz von bestimmten Technologien fördern, dass wir da einfach Fortschritte erzielen und das in einem höheren Durchsatz mit höherer Teilnehmerzahl und höheren Datensätzen dann auch umsetzen können.

Johanna Stegmann: Sie haben ja gerade schon andere Länder angesprochen, können Sie sagen, ob es bestimmte Erfahrungen oder Ansätze aus anderen Ländern gibt, die Deutschland als Vorbild dienen könnten?

Dr. Andreas Till: Es gibt eine ganze Reihe von internationalen, auch hier in Europa, ansässigen Initiativen, die Genomsequenzierungen schon weitergeführt haben, die auch schon früher angefangen haben, als wir, UK, Großbritannien, aber auch Schweden und Frankreich, die schon einige Jahre länger als wir dabei sind, diese Informationen zu nutzen. Bei uns gibt es tatsächlich einen Sonderfall, weil wir gerade dabei sind, nicht durch die Forschungsministerien, sondern durch Zusammenschluss von Komponenten des Gesundheitsversorgungssystems, also der Krankenkassen und den Kliniken, diesen Schritt zu gehen. Und das ist auch international einmalig. auch die Geschwindigkeit der Umsetzung und das Bestreben, das möglichst schnell zu einer großen Teilnehmerzahl zu bekommen, wird auch international weiter interessiert beobachtet von außen und ich glaube, wir haben da einen großen Schritt gemacht und stehen an einer sehr guten Position im internationalen Feld.

Johanna Stegmann: Das Modellvorhaben bezieht sich auf zwei Gruppierungen mit seltenen genetisch bedingten Erkrankungen und onkologischen Erkrankungen. Halten Sie es denn für realistisch, dass die Genommedizin irgendwann allen Menschen zur Verfügung steht, also unabhängig von ihrer Erkrankung und falls ja, finden Sie das überhaupt erstrebenswert?

Dr. Andreas Till: Ich glaube, dass wir dazu beitragen können, dass zumindest hier bei uns im deutschen Kontext Genomsequenzierung, wenn die Personen aufgeklärt wurden und das wollen, dass dies zur Verfügung gestellt werden kann. Ich glaube auch, dass wir die datenschutzrechtlichen und technischen Voraussetzungen erfüllen, das auch sicher machen zu können. Wir müssen uns aber natürlich bewusst sein, dass Aspekte wie mögliche Diskriminierung aufgrund von Genominformationen, Diskriminierung bezüglich Krankheitsausprägung oder Risiken gerade bei uns einen wichtigen und sehr sensiblen Themenkomplex darstellt. Deshalb glaube ich immer noch, dass eine Aufklärung in der Richtung zusammen mit der technischen Innovation einen ganz wichtigen Punkt darstellt und dass wir im besten Fall innerhalb der gesamten Gesellschaft daran arbeiten müssen, was wir wollen, wie wir das kommunizieren und was wir überhaupt für Services zur Verfügung stellen können.

Johanna Stegmann: Was denken Sie denn, wie könnte sich die Genommedizin durch das Modellvorhaben in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiterentwickeln?

Dr. Andreas Till: Ich glaube, dass wir da an einem guten Anfangspunkt stehen, der sehr spannend ist und der auch zukünftige Generationen und in der Zukunft auch für uns hier in Deutschland einiges bewirken und unsere Versorgung verbessern wird. Sobald die Genomsequenzierung als ein Aspekt der Genommedizin in die Regelversorgung übernommen wird, erwarten wir eine Steigerung der Fortschritte in mehreren Bereichen, in der Diagnostik, in der Prognostik und vor allem auch in der Therapie von genetisch bedingten Erkrankungen. Natürlich darf dies nur nach ausreichender Information und auch auf Wunsch und nach Einwilligung der Patienten und der Patientinnen erfolgen. Ich glaube, dass langfristig eine ganze Reihe von Erkrankungen zum einen besser verstanden werden, die Hintergründe besser verstanden werden, aber auch die Wirkungsweise von Medikamenten und von Therapien besser erfolgen können und dass wir aber auch neue innovative Technologien wie zum Beispiel Stammzelltherapie oder Gentherapie in unser Versorgungskonzept einfließen lassen können. Und ich glaube, dass das Modellvorhaben und das gesamte Konzept Genommedizin einen ganz wichtigen Beitrag spielen wird und wir als BfArM sehen uns da auch in einer entscheidenden Rolle und möchten zum Erfolg dieses Konzepts natürlich auch gerne beitragen.

Johanna Stegmann: Herr Dr. Till, ich danke Ihnen ganz herzlich für diesen umfassenden und wirklich tiefen Einblick ins Modellvorhaben und ich bin schon total gespannt, wie es weitergehen wird.

Dr. Andreas Till: Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch. Vielen Dank.

Johanna Stegmann: Das war der Code des Lebens produziert von GHGA, dem Deutschen Humangenom-Phänomarchiv. Schön, dass ihr dabei wart und ich freue mich, wenn ihr auch beim nächsten Mal wieder rein hört.

Über diesen Podcast

Der Code des Lebens – der Wissenschaftspodcast von GHGA beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der menschliche Genomforschung. Obwohl wir 99% unseres Erbgutes (=unserer Gene) miteinander teilen, machen die kleinen Unterschiede uns zu dem was wir sind. Doch wie ist unser Erbgut eigentlich entstanden? Wie funktioniert Genomforschung und wie beeinflussen unsere Gene unser tägliches Leben? Diesen Fragen und mehr geht “Der Code des Lebens” auf den Grund. Zuhörende benötigen kein spezielles Vorwissen um in die faszinierende Welt der Gene einzutauchen.

Dieser Podcast wird präsentiert von GHGA – dem deutschen Humangenom-Phenom Archiv. Wir entwickeln eine Infrastruktur, in welcher humane Genomdaten sicher gespeichert und kontrolliert für die biomedizinische Forschung zugänglich gemacht werden können. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und ist Teil der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI).

Podcastlizenz: CC-BY

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